Die Godin
gewesen sein, als er plötzlich erwachte. Er lauschte angespannt in die Dunkelheit, stand auf, tappte zum Fenster, öffnete es und beugte sich hinaus. Der Marktplatz lag friedlich im Mondlicht. Aus der Ferne drang das Rauschen des Flusses heran. Einige Grillen zirpten unruhig. Er sah den Wirt, der in einem langen Nachthemd vor der Haustür stand. Der Wirt hob den Kopf zu ihm.
»Sinds auch wach geworden?« fragte er mit verhaltener Stimme.
»Was ist denn gewesen?«
»Weiß nicht«, gab der Wirt zurück, »mir ist es vorgekommen, als hätt irgendwo einer geschossen. Aber jetzt ist es wieder ruhig. Ich wird mich getäuscht haben.« Er streckte sich gähnend. »Ich leg mich wieder hin. Gute Nacht.«
Kajetan schloß das Fenster, ging wieder ins Bett und deckte sich zu. Morgen abend würde er vermutlich nicht mehr hier sein, um überprüfen zu können, ob auf der Speisetafel irgendeiner Gaststätte Wildfleisch auftauchen würde.
Er versuchte noch darüber nachzudenken, was er am nächsten Tag tun sollte. Er wußte nicht einmal mehr, warum er überhaupt noch etwas tun sollte.
Es war nichts als das eigenartige Verhalten des Ortspolizisten, das ihn mißtrauisch gemacht hatte. Aber wie sollte er vorgehen? Wen sollte er erneut aufsuch… Er schlief ein.
Aufgeregte Rufe drangen an das Fenster der Kammer. Kajetan erwachte, zog sich hastig an und ging nach unten. Es war bereits früher Vormittag. Der Wirt stand in der Außentür und sprach heftig gestikulierend mit einem Mann, der ihm ungläubig zuhörte. Schon auf der Treppe konnte Kajetan hören, daß es um eine Schießerei ging, die in der vergangenen Nacht stattgefunden haben mußte. Er blieb stehen und lauschte dem Gespräch mit wachsender Neugier.
»Stell dir vor, Stadler«, rief der Wirt, »gleich zwei sind bei der Mühle drunten gelegen. Maustot! Alle zwei! Ein Bazi von München…«
»Woher willst denn das wissen?«
»Der Kirchbäck hat gehört, wies einer von die Gendarmen aus Ödstadt zum Kaneder gesagt hat!«
»Und warum sagst: Zwei sind dagelegen…?«
»Weil der andere nicht von München war. Sondern - jetzt rat einmal!«
»Doch nicht von da? Wer?!«
»Der Aichinger Marti!«
»Der Ai…?«
»Kannst dein Maul schon wieder zumachen, Stadler! Der Aichinger Marti! Wie ich dirs sag! Von dem es geheißen hat, er sei im Zuchthaus verbrannt! Ist der doch glatt hergegangen, hat den Wärter umgebracht, seine Uniform angezogen, das Zuchthaus in Brand gesteckt und ist im ganzen Durcheinander abgehauen. Die ganze Welt hat gemeint, er war verbrannt - dabei war der, dens gefunden haben, der Wärter!«
»So ein Hund!« rief der Stadler bewundernd. »Da mußt erst einmal draufkommen! Aber… wie kann denn der ein Zuchthaus in Brand stecken?«
»Die von Ödstadt sind schon dagewesen! Die haben es rausgekriegt: Er hat sich das Karbid von den Radln gestohlen und hat damit eine Bomben gebaut!«
Der Stadler erinnerte sich. »Der Aichinger Marti war ja immer ein Machler«, sagte er anerkennend, »nichts, was der nicht zusammengekriegt hätt!«
»Danach muß er sich bei der Müllner Marie versteckt haben. Erst jetzt geht mir auf, warum sie auf einmal so gspaßig getan hat, mit keinem mehr hat reden wollen und fast gar nimmer aus ihrer Mühl herausgekommen ist.«
»Aber, wie paßt das alles zusammen? Was hat denn der Marti mit dem von München zu tun?«
»Das sag ich dir, Stadler. Der hat die Marie ausräubern wollen. Da hat der Marti gar nicht anders können, als ihr zu helfen. Und dabei hats ihn selber erwischt! Zuvor aber hat er dem Halunken so eingeheizt, daß der das auch nicht überlebt hat!«
»So ein Hund!« wiederholte der Stadler. »Nauferger, jetzt bin ich platt.«
Der Wirt wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Kajetan trat näher. Der Nauferger wandte sich ihm zu.
»Wir haben uns doch nicht verhört gestern nacht«, rief er, »es ist geschossen worden, unten bei der Höllmühl! Stellens Ihnen so was vor!«
Der Stadler griff an den Arm des Wirts.
»Und? Red halt weiter! Was ist mit der Müllner Marie geschehen? Hat der Halunk sie etwa…?«
Der Wirt schüttelte den Kopf. »Die hat die ganze Gaudi überlebt. Aber sie ist, scheints, narrisch geworden. Seit der Nacht dreht sich das Mühlradl wieder. Die Leut aus der Nachbarschaft haben ihr beistehen wollen, sind zu ihr hingegangen und haben gesagt: Marie, was läuft denn die Mühl? Aber sie hört gar nimmer, tut nichts und sagt nichts, und keiner weiß, was ihr geschehen ist. Der
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