Die Göring-Verschwörung
einem kaum knielangen Kleid brachte, eine Zigarette achtlos zwischen die Finger geklemmt, Getränke zu den Gästen. Wardley bestellte zwei der Weiße genannten Berliner Biere, während Clarson ein Taschentuch, von denen er stets mehrere mit sich führte, hervorzog, um den Tisch vom gröbsten Schmutz zu reinigen. Er war kein Biertrinker, doch das schien Wardley nicht weiter zu interessieren. Der Attaché verfügte nicht über jenes einnehmende Wesen, das man von einem Diplomaten gemeinhin erwartete.
»Ich hatte Sie mir anders vorgestellt«, begann Wardley, »militärischer.« Er lehnte sich zurück, bis über dem offenen Kragenknopf ein Doppelkinn erschien, und bedachte Clarson mit einem Blick wie ein Vorarbeiter, dem ein schwindsüchtiger Tunichtgut zugeteilt wurde.
Der Geräuschpegel der Bar stellte sicher, dass ihr Gespräch nicht belauscht werden konnte. Mittels einer übergroßen Abtastnadel an die Grenzen seiner Belastbarkeit gebracht, verzerrte das alte Grammofon den Klang der Musik beinahe bis zur Unkenntlichkeit.
Die Tivoli-Bar war der unwahrscheinlichste Ort, den man sich in Berlin vorstellen konnte. In dem Land, das seine jüdischen Mitbürger systematisch verfolgte und jeden künstlerischen Beitrag von Juden aus der Öffentlichkeit verbannt hatte, ertönte in einem Gasthaus die Musik Benny Goodmans. Den jiddischen Refrain seines Gute-Laune-Swings Bey mir bist du scheyn sangen die Anwesenden so lauthals mit, dass das Grammofon gänzlich übertönt wurde.
Clarson musste schmunzeln. Eine seltsame Gegenkultur zum alles umfassenden System von Disziplin und Unterordnung hatte sich in diesem heruntergekommenen Hinterhof der Hauptstadt etabliert. Der Schwager seiner Frau hätte beim Anblick dieser Szene zweifellos Gift und Galle gespuckt.
»Das macht der Stock. Gibt mir eine zivile Erscheinung«, erwiderte er Wardleys Bemerkung. »Sie haben einen extravaganten Ort für unsere Zusammenkunft gewählt.«
»Die Lokalität ist ideal. Kein Mensch interessiert sich hier für zwei Männer, die an einem Tisch ein Bier trinken. Außerdem entspricht er einer Grundregel geheimdienstlicher Tätigkeit.«
»Die wäre?«, Clarson musterte sein Gegenüber mit hochgezogenen Brauen. Der Handelsattaché hielt ihn offenkundig für einen ahnungslosen Amateur, der sich in Dinge einmischte, die man besser den Profis von Geheimdienst und Diplomatischem Korps überließ.
»Jedwede Geheimhaltungsmaßnahme«, dozierte Wardley mit halblauter Stimme, »das Wechseln eines Taxis oder das einmal zu häufige Umschauen an einer Straßenecke sollte durch eine glaubhafte Story gedeckt sein. Diese Bar operiert am Rande der Legalität und ein Gast hat allen Grund, seinen Besuch diskret zu behandeln. Sollte Ihnen also trotz Ihrer Bemühungen jemand gefolgt sein, so finden Ihre Beschatter in diesem Etablissement eine akzeptable Erklärung für Ihr konspiratives Verhalten. Außerdem würde mir ein typischer Verfolger in dieser Umgebung gleich auffallen.« Er schaute unruhig in die Runde, während er sich eine Zigarette zwischen die Lippen schob. »Diese Swing-Jugendlichen mit ihrer Vorliebe für alles Britische und Amerikanische sind ein ziemlich verrückter Haufen, aber so ziemlich die angenehmsten Zeitgenossen, die sie in diesem gottverdammten Land antreffen werden.« Er holte ein goldfarbenes Benzinfeuerzeug aus der Tasche und brachte seine Zigarette zum Brennen, den Raum weiter hektisch mit den Augenwinkeln absuchend. »Als Diplomat akkreditiert in einer Diktatur, habe ich mich daran gewöhnt, wie ein Spion zu handeln, wenn ich meine inoffiziellen Kontakte pflege. Sie sind jung, Clarson, und wie es scheint ganz mutig, doch Sie sind kein Profi. Ein falsches Wort am falschen Ort und …«
»Ich weiß sehr wohl, was mir in einem solchen Fall drohen würde.«
»Und vergessen Sie Ihre Frau nicht. Auch sie ist Teil der ganzen Affäre. Daran wird auch die schützende Hand der Lady Goebbels nichts ändern können.«
Clarson nickte. Wardley erzählte ihm nichts Neues.
»Verstehe ich richtig, dass niemand weder in England noch in Deutschland über den eigentlichen Grund Ihrer Anwesenheit in Berlin im Bilde ist?«, setzte der Diplomat fort.
»Ja, abgesehen von meiner Frau natürlich.«
»Das muss unter allen Umständen so bleiben. Ich habe Sie hergebeten, weil ich Ihre Hilfe benötige. Hören Sie gut zu, ich mache es kurz. Ich stehe außerhalb meiner Rolle als Handelsattaché in Geheimgesprächen mit führenden deutschen Stellen. Sie müssen
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