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Die Göring-Verschwörung

Die Göring-Verschwörung

Titel: Die Göring-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Müller Hale
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Reger Autoverkehr sorgte dazu für eine beständige Geräuschkulisse. Mehr als einmal traf Clarson der strafende Blick von Passanten, für die der flanierende Mann mit Spazierstock ein Hindernis darstellte. Einzig ein Mann im Trenchcoat auf der anderen Straßenseite zwanzig Meter hinter ihm schlug das gleiche langsame Tempo an.
    Bald hatte er den Wilhelmplatz erreicht, auf dem der Neubau des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda die ganze Nord- und halbe Ostseite einnahm. Der kühle Kontinentalwind hatte hier freie Bahn und Passanten überquerten die offene Fläche im beschleunigten Schritt mit den Händen an ihren Kopfbedeckungen. Die Chauffeure der langen Reihe schwarzer Taxis zogen es vor, in ihren Wagen sitzen zu bleiben, während sie auf Gäste aus dem Hotel Kaiserhof warteten.
    Clarson zog den Hut tiefer ins Gesicht und ließ seinen Blick zu der erst vor zwei Monaten eingeweihten Neuen Reichskanzlei schweifen, die im Westen des Platzes ihren Ausgang nahm und sich über die gesamte vierhundert Meter lange Voßstraße erstreckte. Architektur zur Machtdemonstration zu nutzen, war das übliche Gebaren einer Diktatur und weit verbreitet auf dem Kontinent, aber nirgendwo sprengte es derart alle Dimensionen wie in Deutschland. Nur ein einziger Bau im Regierungszentrum konnte mit Hitlers neu errichtetem Palast konkurrieren: Das gerade mal zweihundert Meter weiter südlich gelegene Reichsluftfahrtministerium, ein fünfstöckiger Betonklotz mit schmuckloser grauer Kalksteinfassade, in dem Göring seinen Hauptsitz bezogen hatte, wartete mit beinahe ebenbürtigen Ausmaßen auf.
    In Europa war ein Zeitalter der Diktatoren angebrochen   – Mussolini in Italien, Stalin in Sowjetrussland, Salazar in Portugal und nun Franco in Spanien. Dazu kamen ihre Imitatoren in den Kleinstaaten des Balkans und faschistische Bewegungen in den wenigen verbliebenen Demokratien unter der Führung von Kerlen wie Oswald Mosley, die sich von der Aussicht auf absolute Macht und bedingungslose Gefolgschaft der Massen blenden ließen.
    Doch sie wurden allesamt in den Schatten gestellt vom Regime Adolf Hitlers. Das neu erstandene Großdeutschland hatte den alten Erbfeind Frankreich an Bevölkerung und Wirtschaftskraft weit hinter sich gelassen und kein Land auf dem Kontinent konnte es wagen, auf sich alleine gestellt, den Unmut seines Herrschers auf sich zu ziehen, der ein Millionenheer, ausgerüstet mit den neuesten Errungenschaften deutschen Ingenieurwesens, hinter sich wusste. Nicht bloß größer und mächtiger war das neue Deutschland, auch unberechenbarer und geprägt von einem dunklen ideologischen Fanatismus, so dass man sich des Kaisers und seiner preußischen Militaristen geradezu wehmütig erinnerte.
    Als Clarson auf den Eingang des Ministeriums zusteuerte, verzog sich sein Verfolger hinter die Hausecke am Ende der Wilhelmstraße und steckte sich eine Zigarette an.
    Ein Angestellter mit kleiner runder Beamtenbrille führte ihn mit wichtiger Miene über einen der langen Flure im obersten Stockwerk zum Vorzimmer des Ministers. Vier auffallend attraktive Sekretärinnen, allesamt in der aktuellen Frühjahrsmode gekleidet, saßen in den Ecken des riesigen Raumes hinter kleinen Schreibtischen. Wie einem Hollywoodfilm entsprungen, sortierten sie in tadellos aufrechter Haltung Akten oder telefonierten in sanftem Ton. Sein Begleiter nickte den Damen beiläufig zu und bat Clarson dann durch eine hohe gepolsterte Eichentür am gegenüberliegenden Ende des Vorzimmers. Dabei gebärdete er sich, als sei Clarson ein Pennäler, der zum Schuldirektor gerufen wurde.
    Das Ministerbüro war schlecht geheizt, offenbar mochte es Goebbels so. Die Unterarme auf dem Schreibtisch abgelegt, wirkte er ein wenig wie ein Heranwachsender, der probehalber den Platz des Vaters eingenommen hatte. Mit wohlkontrollierten Bewegungen blätterte er einen Stapel Übersetzungsabschriften ausländischer Tageszeitungen durch, dabei mit halbem Auge den eintretenden Clarson beobachtend. Verzögert und mit einem Seufzer erhob er sich schließlich und begrüßte seinen Besucher mit einem nachlässigen Händedruck und tiefen Ringen unter den Augen. Die enorme Anspannung, unter der er ansonsten unentwegt zu stehen schien, war am heutigen Morgen nur undeutlich wahrnehmbar. Offenbar hatte sie sich in der zurückliegenden Nacht Entladung in unersättlicher Arbeitswut gesucht. Von seinen üblichen amourösen Abenteuern musste er in Anbetracht seiner Situation notgedrungen

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