Die Göring-Verschwörung
Abstand nehmen – für den Moment zumindest. Er zwang sich zu einer freundlichen Miene, bot Clarson von dem bereitstehenden Kaffee an und kam auf den Empfang von vor drei Tagen zu sprechen.
»Wir Nationalsozialisten gehören einer ganz anderen Welt an als diese Diplomaten mit ihren steifen Kragen und hochnäsigen Gesichtern. Das alte Europa wird einen Sturm erleben, den es nicht überstehen wird. Wir sind die neue, frische Zeit. Alles Alte und Verbrauchte wird von uns hinweggefegt werden.« Seine Gesichtszüge lebten etwas auf, als er sich anschickte, über seinen geliebten Hitler zu dozieren, dessen gerahmtes Porträt ein unvermeidliches Element auf dem Schreibtisch eines deutschen Ministers war und selbstredend auch auf Goebbels’ Pult nicht fehlte. »Die strategische Landkarte des Kontinents ist von ihm in den letzten zwölf Monaten komplett umgekrempelt worden. Die Staatsmänner des Auslands können es mit dem Genie des Führers schlichtweg nicht aufnehmen.«
Clarson stand in seiner derzeitigen Lage nicht der Sinn nach politischem Palaver mit einem Mann, den einzig ein bemerkenswertes Talent für Hetze sowie hündische Unterwürfigkeit gegenüber Hitler in seine Position gebracht hatten.
»Herr Minister, Sie haben mich zu sich gebeten?«
»In der Tat«, räusperte sich Goebbels und heftete den undurchdringlichen Blick seiner dunklen Augen auf ihn. »Ich habe mir Gedanken über Sie gemacht. Im Prinzip betrachte ich es nicht als meine Aufgabe, den Mitgliedern meiner Familie beruflich unter die Arme zu greifen. Da Sie jedoch in Deutschland über keinerlei andere Verbindungen verfügen, mache ich bei Ihnen eine Ausnahme.«
Clarson zog rätselnd die Mundwinkel zusammen und ließ Goebbels weiter sprechen.
»Ich möchte Ihnen ein Angebot machen. Die Auslandsabteilung meines Ministeriums hat noch nicht den Leistungsstandard erreicht, den ich von ihr erwarte. Insbesondere die Auswertung der ausländischen Presse wird noch zu dilettantisch durchgeführt. Vonnöten ist hier jemand, der mit Sachverstand die angelsächsischen Blätter systematisch analysieren lässt und mich mit hinreichend Munition für die kommenden Propagandaschlachten versorgt. Das ist eine Aufgabe, bei der Sie sich bewähren können.«
Clarson glaubte seine Ohren nicht zu trauen. Was hatte Goebbels auf den Gedanken gebracht, dass er eine Beschäftigung suchte? Er musste doch wissen, dass Clarson finanziell unabhängig war. War dies ein Test seiner Kollaborationsbereitschaft oder gar der Versuch, ihn zu kompromittieren, indem er ihn zu einem Teil des Nazi-Apparates machte? Wahrscheinlicher war, dass der Minister lediglich einer Bitte seiner Frau folgte, die ihre Schwester langfristig an Berlin binden wollte. So kurz nach der Versöhnung, die seine Karriere gerettet hatte, könnte er ihr das schwerlich abschlagen. Außerdem würde der Familienpatron ihn auf diese Weise besser im Auge behalten können.
»Sie können hier ja nicht dauerhaft als Bonvivant in Kaffeehäusern sitzen«, versuchte Goebbels einen Scherz.
Clarson nickte, doch innerlich schüttelte er den Kopf. Er hatte sich getäuscht. Goebbels hatte nichts mit seiner rätselhaften Freilassung zu tun. Er wusste ganz offensichtlich nicht das Geringste von den Ereignissen der Samstagnacht. Clarson entschied, den Minister für Volksaufklärung seiner Unkenntnis nicht zu berauben.
»Ich habe keinerlei Erfahrung mit einer solchen Art von Tätigkeit«, antwortete er bedächtig.
»Sie scheinen ein aufgeweckter Mann zu sein. Sie erhalten Mitarbeiter. Zum nächsten Ersten können Sie Ihren Dienst antreten. Mein Referent wird bis dahin alle notwendigen Einzelheiten mit Ihnen klären. Ich bin sehr gespannt darauf zu sehen, wie Sie diese Aufgabe meistern werden. Sollten Sie sich bewähren, wird es in meinem Ministerium noch ganz andere Möglichkeiten für Sie geben.«
Es klang weniger nach einem Angebot, denn nach der Mitteilung, dass er von nun an einer von Goebbels’ Angestellten sei. Im Prinzip war dies eine Entwicklung, wie sie glücklicher kaum sein konnte. Als einer von seinen Zuträgern würde er zumindest hin und wieder in dienstlichem Kontakt mit Goebbels stehen. Das konnte seine Aufgabe nur erleichtern. Er begann zu bedauern, dass er gestern zugestimmt hatte, nach London zurückzukehren. Dennoch konnte er die Beleidigung, die in der Offerte lag, nicht so einfach verwinden; war er doch soeben degradiert worden von einem im Prinzip ebenbürtigen Familienangehörigen zu einem
Weitere Kostenlose Bücher