Die Göring-Verschwörung
verlassen, bis das geschehen ist. Wir wollen keine unnötigen Verzögerungen.« Er drückte seine Hand wieder auf die Wunde im Oberschenkel und zog die Mundwinkel schmerzverzerrt auseinander. »Und noch eins: Erwähnen sie meinen Namen nicht.«
»Wie bitte?« Clarson glaubte, sich verhört zu haben. Die Erfolgschancen waren durch die kurze Frist, in der alles vonstattengehen musste, gering genug. Keine Namen zu nennen, musste die Mission komplett aussichtslos machen.
»Es genügt, wenn Sie von gemäßigten und friedliebenden Teilen der deutschen Führung sprechen.«
»Wie stellen Sie sich das vor? Ihr Name gibt dem Ganzen erst das nötige Gewicht.«
»Ich kann mich nicht exponieren! Damit würde ich mich in die Hände Englands begeben.«
»Wenn ich keinen Namen nennen kann, brauche ich den Vizebotschafter gar nicht erst aufzusuchen. Es wäre wie der Versuch, einen Fluss zu durchschwimmen, ohne dabei nass zu werden.«
»Er hat recht, Herr Generalfeldmarschall!«, griff Binnewies ein. »Wir können jetzt nicht mehr hinter dem Berg halten!«
»Ich habe gesagt, keine Namen, das ist mein letztes Wort«, schnappte Göring erschöpft. »Sie kennen die britischen Diplomaten nicht. Alles, was Sie tun müssen, ist entschlossen aufzutreten. Und genügend Glaubwürdigkeit bringen Sie hoffentlich selbst mit.«
Clarson gab noch nicht auf. »Herr Ministerpräsident, Sie müssen mich autorisieren, Ihren Namen zu verwenden. Er allein gibt dem Szenario einen seriösen und realistischen Klang.«
Er machte sich auf einen Wutanfall Görings gefasst. Doch der Marschall blieb sachlich. »Es ist zu früh, glauben Sie mir. Ich kenne das diplomatische Spiel hinter den Kulissen besser als Sie beide zusammen. Bringen Sie mir eine prinzipielle Zusage oder zumindest ein verwertbares Signal, dann sehen wir weiter.«
»Ich werde Ross und Reiter nennen müssen, um London eine solche Reaktion überhaupt zu ermöglichen.«
Göring ignorierte seine Worte. »Das wäre alles.«
Auch Binnewies setzte noch zu einer Gegenrede an, brach aber ab, bevor er einen Ton herausgebracht hatte. Er kannte seinen Vorgesetzten und wusste, wann er zu schweigen hatte.
Der Marschall deutete mit der Hand zur Tür, als Zeichen, dass er das Gespräch als beendet ansah. »Ich verlasse mich auf Sie«, sagte er, während er Clarson zum Ausgang begleitete. »Zeigen Sie mir, dass ich recht hatte, als ich Sie aus den Kerkern der Berliner Polizei geholt habe.«
Binnewies chauffierte ihn persönlich mit dem Wagen zum Adlon. »Ich glaube, wir haben Ihnen noch gar nicht hinreichend gedankt«, murmelte er, als Clarson sich anschickte auszusteigen, »dass Sie sich trotz der Gefahr für Ihr eigenes Leben für unsere Sache zur Verfügung stellen.«
Der Major war das genaue Gegenteil seines Vorgesetzten. Die beiden waren ein mehr als unwahrscheinliches Paar. Vielleicht war es ihre Bekanntschaft aus dem Weltkrieg, die den kultivierten Binnewies an die Seite Görings gebracht hatte. Das gemeinsame Kriegserlebnis schuf manchmal seltsame Bande.
Clarson ließ den Griff seines Stocks zwischen seinen Fingern kreisen. »Ich beginne mich zu fragen, ob ich in einer Mannschaft spiele, die eine Chance auf den Sieg hat.«
»Keine Sorge, er ist morgen früh wieder auf dem Damm. Hitlers Stunden sind gezählt, die SS wird verschwinden, Himmler mitsamt seinen Häschern abgeurteilt werden.«
»Was wird mit dem Schwager meiner Frau geschehen?«
»Auch der Propagandaminister spielt für die gegnerische Mannschaft.«
»Rechnen Sie mit Blutvergießen?«
»Ich denke, das wird unausweichlich sein.«
27
»Ich kann im Moment wirklich nichts für Sie tun. Seine Exzellenz hat gestern die Botschaft verlassen und ist seither noch nicht zurückgekehrt. Es ist, wenn ich so frei sprechen darf, darüber hinaus äußerst zweifelhaft, dass er Zeit für Sie finden wird, sollte er im Laufe des Tages eintreffen.«
Der junge Diplomat, der mit schottischem Akzent und dem modischen Desaster einer weißen Papierrose im Knopfloch über den Zugang zur Botschaft regierte, war kaum kooperativer als sein Kollege vom Wochenende.
Nachdem man die Sicherheitskontrollen an der Hauptpforte hinter sich gebracht hatte, betrat man die Eingangshalle über einen Marmorfußboden in schwarz-weißem Schachbrettmuster. Zum Aufzug oder den seitlichen Treppenaufgängen gelangte man, indem man durch die kleinen Türen einer kaum einen Meter hohen, ornamentierten Absperrung aus dunkel lackiertem Holz trat, die das Foyer vom Rest
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