Die Götter 2. Das magische Zeichen
Aber Zejabel konnte einfach nicht aus ihrer Haut. Erst hatte sie Eryne dazu angestachelt, sich zur Göttin zu entwickeln, dann hatte sie ihren eigenen Sohn dazu angetrieben, die Grenzen der menschlichen Fähigkeiten zu überschreiten, und nun drängte sie sich der kleinen Kaulanerin als Lehrerin auf! Die Vorstellung war Josion unerträglich.
Jedoch musste er zugeben, dass seine Mutter wesentlich mehr über die Insel Ji, die Etheker und das Jal wusste als alle anderen zusammen. Plötzlich kam ihm seine Ablehnung kindisch vor. War er vielleicht einfach nur eifersüchtig? Dieser Gedanke besserte seine Laune nicht gerade.
Zum Glück sprachen sie an diesem Morgen nicht über Lorilis magische Kräfte. Das Gespräch drehte sich ausschließlich darum, wohin sie als Nächstes reiten würden. Niemand hatte vergessen, dass Damián nach Lorelia wollte, um die Aufzeichnungen seines Vaters zu holen, doch nach einigem Hin und Her beschlossen sie, sich ohne Umweg zur Insel Ji zu begeben. Gewiss war das gefährlich, aber auch nicht leichtsinniger, als einfach so ins Hauptquartier der Grauen Legion hineinzuspazieren. Außerdem bestand immer noch die leise Hoffnung, auf der Insel ihre Eltern vorzufinden. Wenn sie zügig ritten, würden sie die lorelische Küste am frühen Abend erreichen. Die Aussicht, noch heute die Insel Ji zu betreten, trieb alle zur Eile an, und so saßen sie drei Dezime nach Sonnenaufgang schon wieder im Sattel.
Wie am Vortag verlief die Reise ohne Zwischenfälle, auch wenn die Erben noch immer zutiefst erschöpft waren. Außerdem rechneten sie ständig damit, hinter einer Wegbiegung auf die Kerle zu stoßen, die sie schon zweimal angegriffen hatten. An den gefährlichsten Stellen ritt Josion voraus, um sich zu vergewissern, dass sie kein Hinterhalt erwartete, und jedes Mal galoppierte seine Mutter schnurstracks hinter ihm her. Josion wusste nicht, ob sie ihn beschützen oder einfach nur verhindern wollte, dass ihre Feinde einen Sieg davontrugen, aber ihr Verhalten ging ihm gehörig auf die Nerven. Deshalb machte er jedes Mal kehrt, sobald Zejabel mit ihm auf einer Höhe war – was sie jedoch nicht davon abhielt, beim nächsten Mal wieder damit anzufangen. Mutter und Sohn standen einander in puncto Sturheit in nichts nach.
Gegen Mit-Tag beschlossen die Gefährten, ein Mahl unter freiem Himmel einzunehmen. Zwar mangelte es in der Gegend nicht an Herbergen, aber sie fürchteten, dort ihren Feinden in die Arme zu laufen, und wollten außerdem keine Zeit verlieren. Je näher sie der Hauptstadt kamen, desto mehr Reiter, Wagen und Wanderer begegneten ihnen. Vorsichtshalber verließen sie die Hauptstraße und ritten auf einsamen Nebenwegen weiter gen Osten. Manche davon waren so schmal, dass sie in einer langen Reihe hintereinander herreiten mussten, wodurch sie langsamer vorankamen als erhofft. Doch nach vielen, vielen Meilen zeichnete sich schließlich das endlose Blau des Mittenmeers am Horizont ab.
Obwohl sie das Rauschen der Wellen schon seit einer Weile hörten, waren sie überrascht, als sie mit einem Mal auf den Strand stießen. Wie gebannt starrten die Erben in die Brandung. Selbst Josion, der den Hafen von Lorelia wie seine Westentasche kannte, sah das Mittenmeer mit Augen. Aber das war auch kein Wunder: Die blauen Fluten hatten seinen Vater, seine Großeltern und deren Freunde verschlungen. Die Ozeane der bekannten Welt würden für ihn fortan ein unberechenbares Ungeheuer sein, mal sanft und friedlich, mal ein hungriger Menschenfresser. Und die Erben würden sich noch heute Abend auf die Wellen hinauswagen. Dieser Gedanke ließ Josion erschaudern, obwohl er mit Geschichten von Dämonen und bösen Magiern aufgewachsen war.
» Ich sehe die Insel nicht « , meinte Guederic. » Ist sie so weit draußen? «
» Nein, aber sie liegt weiter im Osten « , erklärte Zejabel. » Wir müssen noch ein ganzes Stück am Strand entlangreiten. «
Die Gefährten setzten sich wieder in Bewegung. Am Strand brauchten sie keinen Hinterhalt mehr zu fürchten, da sie meilenweit sehen konnten, aber trotzdem ließ ihre Anspannung nicht nach. Alle fragten sich, was sie in den nächsten Dekanten erwartete. Würden ihre Feinde ihnen auf Ji auflauern? Was würden sie in Sombres Grab vorfinden? Würden sie ihre Eltern auf der Insel antreffen oder nicht? Josion machte sich große Sorgen um Lorilis und Najel. Die beiden waren so jung, fast noch Kinder. Warum mussten sie so schwere Prüfungen auf sich nehmen? Er war wenigstens auf
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