Die Götter - Das Schicksal von Ji: Die Götter 4 - Roman (German Edition)
Reich der Albträume verbannen wollte: Das mumifizierte Kind in der Truhe, das war er selbst!
Plötzlich schlug sein Hass in abgrundtiefe Traurigkeit um. Ein lang gezogenes Stöhnen, das wie der Schrei eines verwundeten Tiers klang, entwich seiner Kehle, und Tränen stiegen ihm in die Augen. Er ließ seine beiden Waffen fallen, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte bitterlich wie ein kleines Kind. Am liebsten hätte er sich das Hirn aus dem Schädel gerissen, um nicht mehr denken zu können, um sich nicht zu erinnern, es nicht zu wissen …
Er war Sombre, und zwar nicht nur im vorigen, sondern auch in diesem Leben. Und als der Riegel, der seine Erinnerungen unter Verschluss gehalten hatte, erst einmal gesprengt war, stürzten auch andere, lange vergessene Bilder auf ihn ein, Bilder aus seiner Kindheit in den Gärten des Dara. Er hatte mit anderen Götterkindern gespielt… Nol der Seltsame hatte sie unterrichtet… Guederic weinte und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Er betrauerte den eigenen Tod, seine verlorene Unschuld und die glückliche Zeit, die für immer vergangen war…
» Ich freue mich, dass ich dir die Augen öffnen konnte«, sagte der Hexer triumphierend. » Sieh nur, wozu unsere Feinde dich gemacht haben, mein Junge! Sieh nur, welches Schicksal dich erwartet, wenn du weiterhin zu ihnen hältst und du so tust, als wärst du ihr Sohn.«
» Ich… bin… ihr… Sohn«, stieß Guederic mit verzerrtem Gesicht hervor.
Aber er war sich dessen selbst nicht mehr sicher, und die Zweifel brachten ihn fast um den Verstand. Wie lautete sein wahrer Name: Sombre oder Guederic? Was waren zwanzig Jahre in Lorelia gegen Jahrzehnte im Dara und Karu? Selbst Saats Stimme klang plötzlich so vertraut. Er erinnerte sich vage daran, wie der Hexer in der Finsternis des Karu auf ihn eingeredet hatte, während seine eigene Bestimmung noch zwischen Gott und Dämon schwankte.
» Nein, das bist du nicht«, sagte der Hexer streng. » Dass du so ahnungslos bist, hätte ich nicht gedacht. Du bist nicht von ihrem Blut. Usul hat mir verraten, dass du ein elternloses Gör aus dem Waisenhaus warst. Sie haben dich nur deshalb an Kindes statt angenommen, um dich besser im Auge behalten zu können. Damit sie abermals Verrat an dir begehen können.«
Auf einen Schlag fühlte sich Guederic wie ausgehöhlt. Er hatte das Gefühl, in bodenlose Leere zu stürzen. Mit leichenblassem Gesicht wandte er sich zu den Erben um, vor allem zu demjenigen, den er bisher für seinen Bruder gehalten hatte.
Damián stand da wie gelähmt. Hatte er von der Sache gewusst? Verzweifelt suchte der junge Mann Zejabels Blick. Als die Zü die Augen niederschlug, war es, als stieße sie ihm einen Dolch ins Herz. Schließlich nickte sie knapp, und in seiner Brust explodierte ein Schmerz, für den es keine Worte gab.
» Sie haben dich geliebt, Guederic«, fügte Zejabel eilig hinzu. » Sie betrachteten dich immer als ihren…«
Er wollte es nicht hören. Der junge Mann hielt sich die Ohren zu, schloss die Augen und brüllte hasserfüllt: » Schweig! Das ist nicht mein Name. Ich heiße nicht Guederic!«
Blind vor Schmerz, verstört von den Bildern und Erinnerungen, die auf ihn einstürmten, konnte er nur noch einen Gedanken fassen: Er war ganz allein auf der Welt und musste sich gegen heimtückische Angriffe von allen Seiten zur Wehr setzen. Er hob sein Rapier auf, wankte zur Truhe hinüber und schloss den Deckel. Wenn er das versteinerte Kind noch länger ansah, würde er wahnsinnig werden. Nicht den Bruchteil einer Dezille kam es ihm in den Sinn, dass Saat ihn mit einem Fingerzucken an die Wand hätte nageln können. Der Hexer schien sich jedenfalls köstlich zu amüsieren, denn sein Gesicht verzog sich zu einem siegessicheren Grinsen.
» Wir können wieder Freunde werden, mein Junge. Ich kenne deine Macht und du meine. Wir können dort weitermachen, wo wir vor fünfzig Jahren aufgehört haben. Es war und ist uns bestimmt, gemeinsam die Welt zu erobern, und das weißt du. Endlich erinnerst du dich.«
Der junge Mann antwortete nicht; er war viel zu durcheinander. Mit tränenverschleierten Augen blickte er zu den Erben hinüber. Mal sah er in ihnen Sterbliche, deren Schicksal ihn vollkommen kalt ließ, mal treue Gefährten, die darauf warteten, dass er sein Rapier hob und es dem Hexer ins Herz stieß. Und das wollte er auch tun, aber wenn er sich zu Saat umwandte, sah er plötzlich nur noch den Freund, dessen Stimme ihn durch die Finsternis des Karu
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