Die Götter - Die Macht der Dunkelheit - Grimbert, P: Götter - Die Macht der Dunkelheit - Les Gardiens de Ji, Tome 3: Le deuil écarlate
Vernichtung des Jal überlebt hatte.
» Und wo befindet sich Euer Bruder?«, fragte Zejabel. » Wo ist das Jal? Wie kommen wir dorthin?«
Die Sirene stieß ein schauriges Lachen aus, bei dem es Souanne kalt über den Rücken lief. Aus dem Gelächter tönte die vereinte Bösartigkeit Hunderter dämonischer Kreaturen.
» Das müsst ihr schon selbst herausfinden! Das Jal war mein Reich, und jetzt besteht es nur noch in meiner Erinnerung. Die Pforte, die ich hüte, sucht immer noch nach dem Weg dorthin, aber sie wird ihn nie mehr finden. Vielleicht verwehrt mir mein nichtsnutziger Bruder auch den Zugang zu seinem neuen Reich. Vielleicht verdanke ich es allein der Tatsache, dass er noch lebt, dass ich in dieser Höhle gefangen bin. Ich und mein Bruder, wir sind wie zwei Seiten desselben Gesichts: Wir können uns immer nur voneinander abwenden, nie aber in dieselbe Richtung blicken. Früher war Nol für mich unerreichbar. Heute würde mich sein Tod befreien!«
Die Verwandlung der Kreatur setzte sich fort, und sie ähnelte immer mehr einem gigantischen Reptil. Souannes Kopfschmerz war mittlerweile unerträglich. Sie hatte diese Geschichte von den beiden ersten Kindern, die im Jal geboren worden waren, einem Bruder und einer Schwester, schon einmal gehört. Aber wann? Und wo? Hatte sie in Corenns und Amanóns Reisetagebüchern davon gelesen? Vermutlich nicht, denn daran würde sie sich bestimmt erinnern. Nach und nach fielen ihr weitere Einzelheiten der Legende ein. Oder entsprang das alles nur ihrer Fantasie? Nein, tief in ihrem Innern wusste sie, dass es die Wahrheit war.
Die anderen waren genauso verwirrt wie sie, wenn auch aus anderen Gründen. Alle fragten sich, was nun zu tun war. Sollten sie sich auf die Erpressung der Sirene einlassen? Sollten sie versuchen zu verhandeln? Oder sollten sie einen Angriff wagen, auch wenn sie hoffnungslos unterlegen waren? Souanne wusste keine Lösung. Sich dem Willen der Sirenenkönigin zu unterwerfen, erschien ihr widernatürlich, ebenso, wie es ihr vor ein paar Tagen widernatürlich vorgekommen war, mit Guederic das Lager zu teilen …
Ein kurzer Blick auf Guederic machte ihr wieder etwas Mut. Immer weniger Sirenen hielten ihn umschlugen, weil sich mehr und mehr von ihnen mit ihrer Königin vereinten, die mittlerweile tatsächlich die Gestalt einer Schlange angenommen hatte. Vielleicht konnte sie bald einen Vorstoß wagen und versuchen, Guederic aus den Fängen der Geister zu befreien. Souanne musste nur noch etwas Zeit gewinnen und auf den richtigen Augenblick warten.
» Was geschah denn mit Euch, als sich das Jal aufgelöst hat?«, fragte sie und versuchte, ihre pochenden Kopfschmerzen zu ignorieren. » Wenn wir das wissen, können wir Nol vielleicht leichter finden.«
Die Sirene musterte sie von Kopf bis Fuß und glitt dann auf sie zu. Souanne musste all ihren Mut aufbringen, um stehen zu bleiben. Am liebsten wäre sie weggelaufen und hätte sich in einem dunklen Loch verkrochen. Der Kreatur war ein langer Schwanz aus weißlichen Schuppen gewachsen, mit dem sie sich vom Boden abdrückte, um sich wie eine Kobra aufzurichten. Durch die Verschmelzung mit ihren Schwestern hatte sich die Sirene in den berüchtigten Schattenfresser des Tiefen Turms verwandelt!
» Als sich das Jal aufzulösen begann, war ich längst nicht mehr dort«, zischte die Kreatur. » Mittlerweile habt ihr sicher erraten, dass ich die Ewige Wächterin des Karu war. Ich war allwissend. Ich wusste sogar, wann mein Reich untergehen würde. Nur eins wusste ich nicht: Was danach kommen würde. So beschloss ich, mich in Sicherheit zu bringen und zu fliehen, bevor es zu spät war. Nachdem ich mir ein letztes Mal ein paar sterbliche Seelen einverleibt hatte, schlüpfte ich durch meine eigene Pforte und kehrte dorthin zurück, wo ich entstanden war. Dies ist der Ort meines Ursprungs. Und jetzt ist er mein Gefängnis.«
Souanne nickte verstört, während eine Flut von Erinnerungen über sie hereinbrach, Erinnerungen an die zwei ältesten Kinder des Jal. Zwei ähnliche und doch gegensätzliche Schicksale. Zwei Wesen, die zwischen der Welt der Sterblichen und der der Götter standen. Nol verkörperte die Heilige Stadt Ith, die Gärten des Dara und den Frieden. Seine Schwester hingegen war eine Ausgeburt von Romerij, der verfluchten Stadt. Sie stand für die Unterwelt des Karu und das Chaos. Sie hatte nicht einmal einen einheitlichen Körper, sondern bestand aus unzähligen Teilen. Sie war namenlos und hatte zugleich
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