Die Götter - Die Macht der Dunkelheit - Grimbert, P: Götter - Die Macht der Dunkelheit - Les Gardiens de Ji, Tome 3: Le deuil écarlate
schweren Felsbrocken versperrt gewesen war. Er fragte sich, ob die Geister ihn freigelegt hatten oder ob es das Werk des Schattenfressers war, jener unheimlichen Kreatur, die in den Tiefen des Turms hauste und die ihre Großeltern damals bis in das oberste Stockwerk verfolgt hatte. Aber das würden sie wohl nie erfahren. Als er den Gang betrat, ging Josion durch den Kopf, dass seit Jahrtausenden kein Sterblicher diesen Ort betreten hatte. Außer Guederic natürlich …
Der Gang war nicht besonders lang. Die Gefährten traten am anderen Ende heraus, ihre Waffen in der Hand und die Lampen in die Höhe gereckt. Aber wenn dies eine Falle war, so schnappte sie nicht zu. Der Saal, in dem sie nun standen, war wesentlich größer als die Stockwerke, in denen sich die Bibliothek befand. Auch hier unten stapelten sich Bücher bis unter die Decke – doch diese war schwindelerregend hoch und bestand aus rohem Fels. Die meisten Bücher waren völlig zerfleddert, lose Blätter lagen überall auf dem Boden herum. Josion warf nur einen flüchtigen Blick auf die Manuskripte vor seinen Füßen, weil er die Sirenen nicht aus den Augen lassen wollte. Dabei sah er, dass sie mit ethekischen Schriftzeichen bedeckt waren. Also befand sich tatsächlich das gesammelte Wissen der alten Etheker in diesem Turm.
Leider kamen die Erben nicht dazu, sich die Bücher näher anzusehen. Die drei Sirenen, die sie in den Saal geführt hatten, schwebten bereits auf einen weiteren Gang zu. Gleichzeitig kamen etwa dreißig andere Geister langsam zwischen den Bücherregalen hervor und entblößten gierig ihre Fangzähne.
Die Erben stellten sich dicht zusammen, um sich besser verteidigen zu können. Es vergingen ein paar Augenblicke, aber die Gespenster machten keine Anstalten, sie anzugreifen. Die Erben wollten sich schon wieder in Bewegung setzen, als sich Lorilis zu einem Buch hinabbeugte, das direkt vor ihren Füßen lag. Josion konnte sie gerade noch davon abhalten, es aufzuheben. Als Lorilis ihn überrascht ansah, zeigte er auf die hassverzerrten Gesichter der Sirenen. Die Gestalten streckten ihre langen, krallenartigen weißen Finger nach ihnen aus und züngelten wütend. Es war klar, was das bedeutete: Alles, was sich an diesem Ort befand, war heilig, und die Geister würden sie beim kleinsten Vergehen in Stücke reißen.
Mit gesteigerter Wachsamkeit durchquerten die Erben den Saal und betraten den zweiten Gang. Von dessen Ende strahlte ihnen gleißend helles Licht entgegen, das die Gefährten so sehr blendete, dass sie nichts mehr sahen. Erst als sie den Ausgang erreichten, wurde ihnen das größte Geheimnis des Tiefen Turms von Romin offenbart.
Der Saal, der sich ihren Augen darbot, war riesig: Ein lorelischer Palast hätte mühelos darin Platz gefunden. Hunderte und Aberhunderte von Sirenen schwebten durch die Höhle oder klammerten sich an die Wände wie gruselige Leuchtkäfer. Die Luft war schwer und modrig. Von dem Saal gingen sechs weitere Gänge ab, die noch tiefer in die Erde hinabführten, vermutlich zu weiteren unterirdischen Ebenen der legendären Stadt Romerij. Doch das wichtigste Bauwerk befand sich hier, direkt vor ihren Augen.
Die letzte noch funktionierende ethekische Pforte.
Sie war gewaltig und thronte in der Mitte der Höhle wie ein Mahnmal, das allen Stürmen der Zeit getrotzt hatte. Dies war die zweitälteste aller Pforten, gleich nach der auf dem Blumenberg in der Nähe der Heiligen Stadt Ith. Wie viele Jahrhunderte mochte es her sein, dass ihre Erbauer sie aufgegeben hatten? Wann hatten die Geister diese verfluchte Stadt von den Sterblichen übernommen? Und wie war es dazu gekommen?
Die Pforte schien die Aufregung der Sirenen, die sie umschwirrten, zu spüren. Obwohl Josion noch nie eine magische Pforte mit eigenen Augen gesehen hatte, ahnte er, dass mit dieser hier irgendetwas nicht stimmte. Es wirkte, als wäre sie völlig außer Kontrolle geraten. Unter dem Steinbogen wechselten sich ohne erkennbare Reihenfolge oder Logik verschiedene Landschaften ab, manchmal so schnell, dass kaum etwas zu erkennen war. Zwischendurch blitzte immer wieder ein grelles weißes Licht auf, sodass die Gefährten geblendet die Augen abwenden mussten. Sie sahen einander hilflos an: Zwar hatten sie die letzte Pforte gefunden, aber allem Anschein nach konnten sie sie nicht benutzen, um ins Jal zu gelangen.
Die Enttäuschung war groß, und ausgerechnet in diesem Augenblick kamen die Sirenen zu ihnen zurück. Die Geister schwebten von der
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