Die Götter - Die Macht der Dunkelheit - Grimbert, P: Götter - Die Macht der Dunkelheit - Les Gardiens de Ji, Tome 3: Le deuil écarlate
Josion. » Bei Tageslicht können wir wenigstens sehen, in welche Richtung er verschwindet, und uns vergewissern, dass er uns nicht folgt.«
Damián nickte und sah dann nachdenklich zu den Bergen hoch, die sich in der Dunkelheit als schwarze Masse abzeichneten. Für einen Moment trat Schweigen ein. Dann wandte er sich wieder seinen Gefährten zu.
» Diese Kerle zeigen sich nur bei Nacht«, murmelte er. » Wenn wir bis zum Morgengrauen warten, wird er sich bestimmt nur in irgendeinem dunklen Erdloch verkriechen. Wenn wir ihm folgen wollen, dann müssen wir das jetzt tun.«
» Ihm folgen?«
Guederic spuckte die Worte voller Verachtung aus, aber sein Bruder beachtete ihn nicht. Schweigend begannen die Erben, ihre Decken einzurollen und mehrere Lampen anzuzünden. Sie wirkten aufgeregt, so als stünde ihnen ein wichtiges Ereignis bevor. Guederic konnte die anderen nicht verstehen, und das bestärkte ihn nur noch in seinem Gefühl, ein Außenseiter zu sein. Hatten sie wirklich vor, mitten in der Nacht hinter diesem Wahnsinnigen herzulaufen?
Schon zog Josion den Gefangenen auf die Füße. Der Mann bleckte immer noch die Zähne, hatte aber immerhin mit dem Knurren aufgehört und wirkte insgesamt ruhiger, so als hätte er verstanden, was die Erben mit ihm vorhatten. Josion nahm den Speer seiner Mutter und ließ das Seil, mit dem er den Gefangenen gefesselt hatte, locker. Der Kerl schoss wie ein Pfeil in die Dunkelheit davon, wurde von Josion aber durch einen Ruck am Seil gebremst. Guederic suchte hastig seine Sachen zusammen, da seine Gefährten ihren Plan offenbar tatsächlich in die Tat umsetzen wollten. So setzte sich die Prozession in Gang, angeführt von dem Wahnsinnigen, der an dem Seil zerrte und zog wie ein wildes Tier.
Der Mann schien zunächst genau zu wissen, wo er hinwollte. Doch bald kamen den Erben Bedenken: Vielleicht lief er einfach nur blindlings geradeaus, weil er vor ihnen fliehen wollte und nicht begriff, dass er über das Seil mit ihnen verbunden war. Das Spektakel dauerte nun schon über drei Dezimen, viel zu lange für Guederics Geschmack. Mittlerweile war er sogar bereit, den Gefangenen laufen zu lassen, wenn sie dafür mit dieser lächerlichen Verfolgungsjagd aufhörten. Er spürte, wie die anderen ebenfalls an ihrem Plan zu zweifeln begannen. Plötzlich sprang der Fremde aber auf eine der natürlichen Treppen zu, die den Berghang hinaufführten. Vielleicht hatte Guederic doch unrecht …
Bis er das einsah, dauerte es allerdings noch eine ganze Weile. Anfangs war Guederic überzeugt, der Wahnsinnige würde sie nur zu dem Erdloch führen, in dem er hauste, oder sie nach ein paar Dezillen in die entgegengesetzte Richtung ziehen. Aber nein: Er lief zielstrebig immer weiter den Berg hoch. An gefährlichen Stellen musste Josion ihn sogar bremsen, da die Dunkelheit und die Lampen in ihren Händen den Erben den Aufstieg erschwerten.
Der Marsch den Berg hinauf zog sich in die Länge, und nach unbestimmter Zeit gelangten die Erben in eine Höhe, in der selbst die Nacht den Atem anzuhalten schien. Zum Glück führte der Weg jetzt nicht mehr am Abgrund entlang. Vielmehr verzweigte er sich hier oben in unzählige Pfade, die sich zwischen hohen Felswänden hindurchwanden. Das Ganze erinnerte an ein düsteres, bedrohliches Labyrinth.
Die Erben waren stillschweigend übereingekommen, während des Aufstiegs zu schweigen, zum einen, um keine Feinde auf sich aufmerksam zu machen, zum anderen, um ihren Gefangenen nicht unnötig aufzuregen. Deshalb zeigte Najel nur stumm mit dem Finger auf die Wegzeichen, die er in regelmäßigen Abständen anbrachte. Guederic musste zugeben, dass das eine hervorragende Idee war, und er ärgerte sich, dass sie nicht früher darauf gekommen waren. Vor allem hätten die Erben gut daran getan, die Stelle am Fuß des Gebirges zu markieren, an der sie mit dem Aufstieg begonnen hatten. Wahrscheinlich würde keiner von ihnen den Weg zurückfinden …
Dezime um Dezime verging, die Dekanten verstrichen, und irgendwann ging die Sonne auf. Endlich konnten die Erben ihre Lampen löschen und sich ein Bild von der Umgebung machen. Viel konnten sie leider nicht sehen, denn zu allen Seiten ragten schroffe Felswände in die Höhe. Sie hatten geglaubt, dass sie nun schneller vorankommen würden, aber das Gegenteil war der Fall. Ihr Gefangener hatte offenbar entsetzliche Angst vor dem Tageslicht. Er drückte sich eng an den Felsen entlang und sprang von einem Schatten zum nächsten, wobei er
Weitere Kostenlose Bücher