Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
des Raums zurück.
Erst jetzt schien der Fremde zu bemerken, dass er ihr Angst machte. Er legte die Waffe auf den Tisch und lächelte entschuldigend. Lorilis fand sein Verhalten nicht besonders vertrauenseinflößend.
»Und, hast du Hunger?«, fragte er. »Nebenan gibt es eine Vorratskammer. Man hat uns mit genug Lebensmitteln für eine Dekade versorgt.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er ins Nebenzimmer
und begann, in einem Schrank zu wühlen. Erst wagte Lorilis nicht, sich zu rühren, aber dann bewegte sie sich vorsichtig auf den Dolch zu, der immer noch auf dem Tisch lag. Nur für den Fall der Fälle … Sie kam jedoch nicht dazu, die Waffe an sich zu nehmen. Der Kahlgeschorene kehrte mit einem Fluffbrot, einem Schinken vom Rotschwein und mehreren Honigkuchen zurück. Er stellte die Lebensmittel auf den Tisch und nahm den Dolch, um ein paar Scheiben von Brot und Schinken abzuschneiden. Dann nahm er einen Krug, ging hinunter ins Erdgeschoss, wo er ihn mit Wasser aus einem Fass füllte, und brachte Lorilis Teller und Besteck. Schließlich holte er ein Buch aus dem Zimmer, in dem das Licht brannte, ließ sich auf einen Stuhl nieder und begann, im Schein der Kerzen zu lesen. Offenbar wollte er sie nicht beim Essen stören. In diesem Moment merkte sie, wie unhöflich sie sich verhielt.
»Danke«, stotterte sie. »Esst Ihr … Esst Ihr nichts?«
»Ich habe nur selten Hunger«, erklärte der Fremde. »Außerdem habe ich vorhin eine Kleinigkeit gegessen. Ich bin schon seit einer ganzen Weile hier.«
Dann vertiefte er sich wieder in sein Buch, und Lorilis traute sich nicht, weitere Fragen zu stellen. Verlegen starrte sie zu Boden. Schließlich siegte der Hunger über ihr Misstrauen, und sie setzte sich an den Tisch. Seit dem Morgen hatte sie nichts Richtiges mehr zu sich genommen. Der Kahlgeschorene ignorierte sie jetzt völlig. Lorilis befürchtete, ihn mit ihren Kaugeräuschen beim Lesen zu stören. Erst nach mehreren Dezillen nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und stellte die Frage, die sie seit ihrer Ankunft nicht mehr losließ.
»Verzeiht, aber … Wer seid Ihr eigentlich? Und wer hat Euch von meinen Eltern erzählt?«
Der Fremde hob überrascht die Augenbrauen und schlug dann mit belustigter Miene das Buch zu. »Ich dachte, das wüsstest du … Haben die Legionäre dir nichts gesagt? Dieselben Männer haben mich heute Morgen hergebracht … «
Lorilis schüttelte den Kopf und wartete begierig auf seine Antwort.
»Ich bin Josion von Kercyan, Zejabels und Nolans Sohn. Du weißt, dass unsere Eltern Freunde sind, oder?«
Lorilis nickte. Die Namen Zejabel und Nolan hatte sie schon oft gehört.
»Dann wäre das ja geklärt«, sagte Josion abschließend.
Wieder senkte er den Blick auf sein Buch, als wäre damit alles gesagt. Dabei brannten Lorilis unzählige weiteren Fragen auf der Zunge. Vor allem eins interessierte sie: Warum hatte man sie mit diesem seltsamen Mann in einem leerstehenden Haus in Benelia eingesperrt?
Allmählich tauchte Guederic aus dem Nebel auf, der ihn seit einer ganzen Weile zu umgeben schien. Er fühlte sich wie nach einer durchzechten Nacht. Sein Verstand hatte Schwierigkeiten, zwischen der Wirklichkeit, den verstörenden Ereignissen der vergangenen Dekanten und den Trugbildern zu unterscheiden, die immer wieder vor seinem geistigen Auge aufflackerten. Bald sah er sich zusammengekrümmt am Boden eines Ruderboots liegen, in Begleitung seines Bruders und einer Legionärin, bald mit den Kindern aus dem Waisenhaus in einem wunderschönen
Garten spielen, dann wieder schlug er den Kopf seines Widersachers auf die Pflastersteine, um ihn dazu zu zwingen, den Dolch loszulassen. Es war dieses letzte Bild, das unangenehmste von allen, das immer wiederkehrte. Alles andere, die Halluzinationen, Erinnerungslücken und Phasen der Bewusstlosigkeit, waren nichts als verzweifelte Versuche seines Verstands, der grausamen Wahrheit zu entkommen.
Doch allmählich wurde sein Kopf wieder klarer, und er war gezwungen, sich der Wirklichkeit zu stellen.
Zum ersten Mal hatte er einen anderen Menschen getötet. Natürlich hatte er nur sein Leben verteidigt, aber allmählich kamen ihm leise Zweifel … Hatte er sich nicht von seinen niedersten Instinkten leiten lassen? Hatte er nicht heftiger zugeschlagen als nötig? Hatte er nicht immer weitergemacht, als sein Gegner die Waffe schon längst fallen gelassen hatte, als seine Augen erloschen und die Glieder erschlafft waren? Guederic hatte erst aufgehört, als
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