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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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Reißaus genommen. Aber warum sollte ich vor der Dummheit flüchten? Eine Schnapsidee! Dummheit ist immer schneller als man selbst und holt einen am Ende ein. Ignorieren konnte ich sie vielleicht, aber vor ihr fliehen würde ich nie wieder!
    „Bitte beeilen Sie sich, Rose. Ich werde bei Herrn Professor Einstein erwartet.“
    Diese Information musste sie erst einmal verdauen. Albert erfreute sich noch immer beträchtlicher Bewunderung und Beliebtheit bei den Leuten. Um mich für meine Wichtigtuerei zu bestrafen, bedachte Rose mich mit einer Überdosis Haarspray.
     
    Zum Tee kam ich bei Albert an. Ich stank nach billigem Haarspray und nach dem ranzigen Schweiß meiner ständigen Beklommenheit. Diese Phase meines Lebens in Amerika hasste ich – sie erinnerte mich zu sehr an das Wien der Vorkriegszeit. Zudem wirkte sich dieses widerliche Klima fürchterlich auf Kurt aus. Der permanente Argwohn, der nun auch in Wissenschaftskreisen herrschte, nährte seine Ängste. Er kochte sich sein übliches paranoides Süppchen und machte sich die echten Probleme der anderen zu eigen, wie die von Robert Oppenheimer, der der Spionage für die Sowjetunion verdächtigt wurde. Überall sah Kurt Feinde. Wenn der Milchmann auf seiner Runde früher oder später kam, dann spionierte er uns aus. Wenn ein Student versuchte, wegen seiner Doktorarbeit mit Kurt Kontakt aufzunehmen, schloss mein Mann sich doppelt ein und ging nicht mehr ans Telefon. Wenn jemand es wagte, ihm bei einer Zusammenkunft zu widersprechen, beschuldigte er das gesamte Institut, sich gegen ihn verschworen zu haben. Wir wurden überwacht, unsere Post wurde geöffnet, wir wurden verfolgt. Man wollte Kurt vergiften. Nur unsere engsten Freunde konnten sich das noch anhören, ohne vor Langeweile aufzuschreien. Natürlich, als Wissenschaftler seines Kalibers hatte er nur schrecklich langsam Karriere gemacht. Aber wer oder was war schuld daran, wenn nicht sein Mangel an Beziehungen? Gerede oder abfällige Bemerkungen, deren Zielscheibe er zu sein glaubte, schrieb er beruflichem Neid zu. Die weniger nachsichtigen Kollegen erregten sich mehr über seine Schrullen als über seine Arbeiten an sich. Kurt sah darin ein heimliches Komplott, ich einen gesunden Reflex – sie wollten vor allen Dingen sichergehen, dass er nicht vor ihrer Nase zusammenbrach. Folglich aß Kurt gar nichts mehr oder nur sehr wenig. Ich hatte wieder meinen Dienst als Vorkosterin angetreten. Dennoch arbeitete Kurt weiter, als würde es in seinem Kopf einen hermetisch abgeschlossenen Bereich geben, einen Schacht, der nicht von diesem Irrsinn geflutet werden konnte, der den ganzen Rest ertränkte.
    Bevor ich bei Albert klingelte, band ich mein Kopftuch um. Lili öffnete mir, sie war blasser als sonst.
    „Was ist denn los, meine Liebe? Ist jemand gestorben?“
    Sie legte den Finger auf die Lippen. Im Wohnzimmer führte Albert ein angespanntes Telefonat. Alle Augen ruhten auf ihm. Lili, Kurt, Oskar, seine Sekretärin Helen Dukas und seine wissenschaftliche Assistentin Bruria Kaufmann waren mit der Teetasse in der Hand erstarrt. Helen machte mir ein Zeichen, mich auf ihren Platz zu setzen, und goss mir Tee ein. Schnaps wäre mir lieber gewesen. Schäumend vor Wut legte Albert auf und ließ sich in einen Sessel fallen.
    „Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass es weder Beweise noch Indizien für Hochverrat gibt. Aber das heißt für sie nicht, dass unser Freund keine Gefahr darstellt. Die Könige der Litotes!“
    „Mein Gott! Wird Robert aus dem Institut geworfen? Oder noch schlimmer?“
    „Machen wir uns nicht verrückt, Lili. Die Oppenheimers sind nicht die Rosenbergs. Robert verliert seine Stelle in Washington und seine Akkreditierung beim AEC. Aber sein Mandat wäre sowieso ausgelaufen. Sie wollen ihn aus allen entscheidungswichtigen Ämtern entfernen.“
    „Warum zum Teufel wollte er unbedingt vor diesem Scheinausschuss des AEC aussagen? Sie hatten es ihm doch ausgeredet, Herr Einstein.“
    „Um seine Ehre reinzuwaschen. Ich denke, er wollte für seine Mitarbeit in Los Alamos büßen.“
    „Dieser Edward Teller ist ein Erzgauner!“ 30
    „Adele!“
    „Schon gut, Gödel. Ihre Frau hat nicht unrecht. Die gesamte Anklageakte beruht auf Tellers Behauptungen. Diese Kriegstreiber in der Atomenergiebehörde haben jetzt freie Hand. Genau das war ihr Ziel: Robert zu diskreditieren, um ihn von politischer Einflussnahme auszuschließen.“
    Keiner wagte es, etwas auf Albert zu erwidern, der in Trauer versunken zu

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