Die Göttin der kleinen Siege
amerikanische Waffenarsenal bereits aus, um Sibirien in den Pazifik zu bomben – damit konnte man unseren roten „Feinden“ eine Heidenangst einjagen.
Die Nachricht über den ersten sowjetischen Atomtest im Jahr 1949 hatte eine mächtige Welle der Angst vor Spionage ausgelöst, die in der Verhaftung und schließlich der Hinrichtung des Ehepaares Rosenberg gipfelte, das wegen der Weitergabe von militärischen Geheimnissen aus Los Alamos an die Sowjets verurteilt worden war. Im vorigen Sommer, mitten in der Hexenjagd und dem Morast des Koreakrieges, erfuhren wir, dass knapp ein Jahr nach Ivy Mike , der ersten amerikanischen H-Bombe, eine sowjetische Wasserstoffbombe gezündet worden war. Die Geschwindigkeit, mit der die UdSSR die Kernfusion entwickelt hatte, war Wasser auf die wahnwitzigen Mühlen von Senator McCarthy. Diese Scheißroten wagen es, genauso weit zu pissen wie wir! Wer hat ihnen dieses Spielzeug verkauft? Der Verdacht war wieder auf die Mitarbeiter des Manhattan-Projekts gefallen.
Oppenheimer hatte eine gemäßigte Position bezogen und damit die Meute auf sich gehetzt. Edward Teller hatte ihm nie verziehen, dass er ihm als Leiter der Theoretischen Abteilung im Labor von Los Alamos Hans Bethe vorgezogen hatte. Teller hatte die Ärmel seines weißen Kittels hochgekrempelt, um persönlich Oppies Grab auszuheben. Robert war kein Heiliger, auch er hatte beim Naming Names mitgemacht, der damals gängigen Praxis der Denunzierung, mit der der Einsatz von Terror durch Kreuzverhöre wiedereingeführt wurde. Um sich zu schützen, hatte er bei vorhergehenden Anhörungen zugeben müssen, dass er dazu aufgefordert worden sei, geheime Informationen an „Leute“ weiterzugeben, dem aber nicht nachgekommen sei. Am Ende hatte er sich in seinen eigenen Aussagen verstrickt und den Namen seines Freundes Haakon Chevalier genannt, eines Literaturprofessors in Berkeley. Das neue Komitee, das Roberts „Loyalität“ beurteilen sollte, hatte es nicht versäumt, Unstimmigkeiten in seinen früheren Angaben aufzudecken. Und es war auch nicht versäumt worden, Roberts Vergangenheit als „linker“ Sympathisant zu durchforsten, und dabei eine militante Exfreundin auszugraben sowie Kittys zweiten Mann, der im Spanischen Bürgerkrieg aufseiten der Volksfront gefallen war.
Die Oppenheimers sahen sich nun in einem ganzen Haufen vorhersehbarer Verwicklungen gefangen, denn mit seiner Mischung aus Dünkel und unleugbarer intellektueller Überlegenheit stellte Robert die ideale Zielscheibe für neidische Kleingeister dar. Nach dem Verständnis dieses großen Schachspielers war es also ein kalkuliertes Risiko, sich als Opfer darzustellen, und schließlich sollte er später als Märtyrer in die Geschichte eingehen und nicht als Denunziant. Seine Schattenseiten konnten meine Zuneigung für ihn nicht infrage stellen, ganz im Gegenteil. Der allmächtige Chef hatte eben auch seine Fehler.
Doch an jenem Nachmittag sah man das noch nicht so nuanciert, sondern mit Empörung. Die Wut verhinderte, dass die Angst die Kontrolle über das Denken bekam. Doch das hielt nur kurz an, denn: Wer wäre der Nächste auf der schwarzen Liste? Kurt brauchte sich nichts vorzuwerfen. Weder hatte er das Zeug zum Verräter noch hatte er etwas anzubieten. Und warum sollten die Russen sich für seine Arbeit interessieren? Aber nach der hirnrissigen Logik der damaligen Zeit war keiner gegen Verfolgung gefeit, auch Kurt nicht. Schon eine einfache Vorladung als Zeuge hätte für meinen Mann verhängnisvoll sein können.
Wir nippten an unserem kalten Tee und hofften auf bessere Tage. Ich sah auf die Uhr, es war Zeit, zu gehen. Ich fürchtete, dass Kurt das Schweigen nutzen und sich in einem Gespräch ergehen könnte, wie nur er es schaffte: aus dem Nichts heraus in die Vollen seiner eigenen Welt. Er ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen.
„Oppenheimers Prozess ist nicht der erste in der Geschichte. Die großen Gelehrten waren zu allen Zeiten Objekt von Kabalen gewesen, die die Mächtigen geschmiedet hatten: Galilei, Giordano Bruno, Leibniz …“
Albert zögerte kurz, er wusste, wohin die Brücke führte, die ihm da gebaut wurde. Dann erlag er der Versuchung, seinen Freund ein wenig zu ärgern. Morgenstern verbarg seine Ungeduld nur mit großer Mühe und setzte dazu an, eine bereits leere Tasse noch einmal auszutrinken. Lili überkreuzte wieder und wieder die Beine in Erwartung der bekannten Prüfung.
„Ich habe mich schon gefragt, wie lange Sie es
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