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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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sein schien. Der alte Physiker rieb sich auf, indem er sich für alle einsetzte, während Kurt nie für jemand anderen gekämpft hatte als für sich selbst. Das deutsche Verhängnis wiederholte sich. Wir waren zu alt oder zu zynisch geworden, als dass es uns überrascht hätte. Auch Hitler hatte eine kommunistische Verschwörung vorgeschoben, um die Demokratie zu unterminieren. Amerika würde nun denselben Weg gehen, sofern so wohlmeinende und opferbereite Menschen wie Albert Einstein das Land nicht verteidigten. 1953 hatte er sich in einem offenen Brief in der überregionalen Presse gegen McCarthy gestellt. Er hatte die Verteidigung der Bürgerrechte gefordert und zu passivem Widerstand aufgerufen: Jeder Intellektuelle, der vor eines der Committees vorgeladen wird, müsste jede Aussage verweigern, das heißt bereit sein, sich einsperren und wirtschaftlich ruinieren zu lassen, kurz, seine Interessen den kulturellen Interessen des Landes zu opfern .
    „Gödel, Sie haben damals eine Schwachstelle in der amerikanischen Verfassung entdeckt. Keiner hat Ihnen zugehört. Und da haben wir es jetzt! Wir stehen mit einem Bein in der Scheiße der Diktatur!“
    „Sie sollten Ihre Worte mäßigen. Wir werden abgehört.“
    Der alte Mann sprang aus seinem Sessel, packte eine Lampe mit Schmuckbehang und schwenkte sie wie ein Mikrofon.
    „Hallo, hallo! Hier Radio Moskau! Hier spricht Albert Einstein. Ich habe Stalin das Rezept für Erbsensuppe verkauft. Soll er daran ersticken – er und McCarthy! Was – Stalin ist schon tot? Hallo?“
    Er schüttelte das arme Ding.
    „ Pronto ? Jemand in der Leitung? Man sollte eine Direktleitung von Moskau nach Princeton legen, die Verbindung ist grauenvoll.“
    Wir waren hin und her gerissen zwischen Panik und Lachen. Die vernünftige Bruria nahm Albert die Lampe aus der Hand.
    „Beruhigen Sie sich, Professor. Beschwören Sie den Ärger nicht noch herauf.“
    Auf der Suche nach seiner treuen Gefährtin klopfte er sich auf die Taschen. Helen sammelte die Glasanhänger auf, die auf den Teppich gefallen waren. Bevor sie das Zimmer verließ, legte sie ihrem Chef beschwichtigend die Hand auf die Schulter. Er war in seinem Sessel zusammengesunken und zwirbelte seinen gelben, von Tabakkrümeln durchzogenen Schnauzbart. So langsam verrieten seine schlaffen Gesichtszüge sein Alter, sein Blick aber hatte nichts von seiner Jugendlichkeit verloren – zwei schwarze Sterne.
    „Mut ist nichts wert, wenn er keinen Preis hat. Seit ich Robert öffentlich unterstützt habe, sind mir fünfzig Trenchcoats mehr auf den Fersen. Habt ihr gelesen, was die Presse über mich geschrieben hat? Zum Glück muss meine Maja das nicht mehr erleben!“
    „Sie sind sehr mutig, Herr Einstein.“
    „Was können sie mir schon antun, Lili? Mir die amerikanische Staatsbürgerschaft aberkennen? 31 Mich ins Gefängnis stecken? Ha, das ist das einzig Gute an meiner verfluchten Berühmtheit: Sie können rein gar nichts gegen mich unternehmen!“
    Er zündete seine Pfeife an und nahm ein paar Züge, die ihn offensichtlich beruhigten.
    „Die arme Kitty. Sie verteidigt ihren Mann mit Zähnen und Klauen, obwohl man eine alte Affäre mit einem kleinen kommunistischen Flittchen aufgedeckt hat! Zu welchen Niederträchtigkeiten sind sie eigentlich noch fähig?“
    „Das geht uns nichts an, Adele. Ich kann diesen Hühnerhoftratsch nicht ausstehen!“
    Ich schluckte die Beleidigung hinunter, aber mich konnte man nicht an der Nase herumführen. Oppie hatte keine schneeweiße Weste. Natürlich wusste ich zu schätzen, wie sehr er uns geholfen hatte, aber er hatte mit dem Feuer gespielt. Mit diesem Prozess würde – am Ende zu Roberts Vorteil – das abgeschlossen werden, was die amerikanische Presse die Chevalier Affair betitelt hatte. 32 In dieser Zeit der antikommunistischen Hysterie galt jeder, der sich gegen einen Einsatz der Bombe aussprach, als unpatriotisch. Bei einer Fernsehsendung hatte Einstein die Öffentlichkeit vor der H-Bombe gewarnt und erklärt, die Wasserstoffbombe sei tausendmal verheerender als die Atombombe. 33 Damit hatte er den Zorn aller Antikommunisten und deren Schergen, des unkündbaren FBI-Chefs Edgar Hoover, auf sich gezogen. War Oppenheimer als Leiter des Manhattan-Projekts zunächst ein eifriger Zuarbeiter des Militärs gewesen, versuchte später auch er, die atomare Aufrüstung zu bremsen. Ich hatte gehört, wie er beim Barbecue darüber mit seinen Kollegen gesprochen hatte. Ihm zufolge reichte das

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