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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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bezeichnete sich als Vegetarier, wollte aber bei mir immer Schnitzel. Er konnte weder ohne die Frauen noch mit den Frauen leben. Als ewiger Genießer war er das doppelte Gegenteil von Kurt. Was sie trennte, hatte sie zusammengeführt. Die Relativitätstheorie würde ich vergessen, auch die Bombe, das Genie. Den einzigen Satz, den ich mir genau merken würde, hatte er anlässlich eines Festaktes zu seinen Ehren geäußert. Seine Stieftochter Margot – oder seine Frau – hatte geschimpft, weil er sich nicht dem Anlass entsprechend umgezogen hatte. Zufrieden hatte er seinen mottenzerfressenen Pullover betrachtet und gesagt: „Wenn sie mich sehen wollen, bin ich da. Wenn sie meine Garderobe sehen wollten, dann mach meinen Schrank auf und zeige ihnen meine Kleider.“ Ich beneidete ihn um seine Freiheit.
    „In einer Stunde sind sie hier! Schieb schon mal den Braten in die Röhre!“
    Ich räumte mein Nähzeug zusammen und hörte gar nicht auf das ungeduldige Seufzen meines geliebten Mannes. Meine Mutter nahm ich unter den Achseln und führte sie ins Haus. Ich musste sie im Auge behalten, während ich kochte.
    Auch wenn die Gödels sich darauf vorbereitet hatten, mich einer Begutachtung zu unterziehen, war ich heiter, ja fast glücklich, sie willkommen zu heißen. Dieser Besuch würde Kurt von seiner Trübsal ablenken. Der Gedanke, seine Familie wiederzusehen, belebte ihn gewissermaßen mit neuer Energie.
    Mein Haus und mein Garten waren mustergültig. Mein Mann erfreute sich trotz seiner Schrullen noch immer eines unstrittigen professionellen Prestiges. Nach zwanzig Jahren Ehe waren wir allen Gegnern und allen Schwierigkeiten zum Trotz noch immer zusammen, Adele und Kurt. Ich konnte Marianne zeigen, dass sie unrecht gehabt hatte – ich war sehr viel mehr für ihren Sohn gewesen als eine Krankenschwester.
    „Setz diese blöde Mütze ab, Kurt, deine Mutter wird dich ja nicht wiedererkennen.“

47.
    Anna sah ihrer Katze in die ernsten Augen. „Wie stark du bist!“ Die Sphinx rührte sich nicht. „Was für ein schönes Fell du hast!“ Das Tier kam zu ihr und rieb zum Dank ihr Hinterteil an ihr. „Adeles Theorem“ funktionierte nicht. Oder nur nicht bei Katzen? Anna warf sie mit einem Fußtritt hinaus. Eines Tages würde sie sich vielleicht dazu durchringen, ihr einen Namen zu geben.
    In ihrer winzigen Küche machte sie sich auf die Suche nach etwas Essbarem, das sie sich in den Mund schieben könnte. Die Schränke waren leer bis auf eine alte, angestaubte Packung Haferflocken. Sie nahm sich die Reste des Truthahns vom Vortag vor und aß sie direkt aus der Plastikschüssel. Auf einmal sprang ihr ins Auge, wie schmutzig der Raum war. Sie zog Gummihandschuhe über und machte sich trällernd daran, die Regale zu putzen. „Do, re, mi, fa, sol, la, ti, do.“ The Sound of Music ging ihr seit ihrem kleinen Ausflug mit Adele nicht mehr aus dem Kopf. Was waren denn das für blödsinnige Kriterien, nach denen sich das Gehirn nur die dümmsten Melodien merkte? Wolcott Sperry hätte sich bestimmt dafür interessiert. Anna scheuerte die Spüle, dann die Kochplatten, wo irgendwann, als sie sich noch Frühstück gemacht hatte, Milch verbrannt war. Julie Andrews’ Jodler sättigten ihre Neuronen. Sie wühlte in ihren Schallplatten. Ziggy Stardust . Fräulein Maria durfte auf ihre Alm zurückkehren. Heute wäre ein neuer Tag!
    Anna befreite den Staubsauger aus einem mehr als vollgestopften Besenschrank und zog das Gerät durch alle drei Zimmer wie eine Furie. Der Lärm trieb die Katze unters Bett. Schweißgebadet wischte sie den Küchenboden auf. Sie hatte gerade den Kleiderschrank ausgeräumt, als die Türklingel sie in ihrem Schwung bremste. Sie war unsicher, ob sie aufmachen sollte, sie war mit einer Mischung aus Staub und Schweiß überzogen. Sie strich sich die Haare glatt und zog einen Bademantel über ihren löchrigen Pyjama. Leo würde es bestimmt nicht noch einmal wagen, überraschend aufzukreuzen, aber er hatte ein Talent für unmögliche Situationen. Bei der Stimme aus der Sprechanlage legte sich ihre Verwirrung – ihr Vater stattete ihr einen hoheitlichen Besuch ab.
    Kommentarlos inspizierte George das kleine Wohnzimmer, dann stellte er seine schwere Aktentasche ab. Er setzte sich, zog aber den Mantel nicht aus, es wäre eine kurze Audienz.
    „Ich war in New York und dachte, ich komme auf einen Sprung nach Princeton, um dich zu umarmen. Darf ich rauchen?“
    Es war nicht wirklich eine Frage – ohne Nikotin konnte

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