Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
Vom Netzwerk:
Bildschirm starrte.
    „Ein netter junger Mann, so energiegeladen!“
    „Jugendliches Ungestüm. Ganz objektiv betrachtet, ist seine Methode korrekt, aber umständlich. Dem Ganzen fehlt die Eleganz.“
    „Er ist der Zimmermann, und du bist der Kunsttischler?“
    „Ich weiß nicht, worauf du anspielst, Adele. Ich bin müde. Ich lege mich hin.“
    Kurt schlug die Tür seines Zimmers zu – damit war die fehlgeschlagene Debatte beendet. Er wollte sich dem Urteil anderer nicht stellen, vor allem nicht meinem. In den letzten Monaten hatte sich diese verfluchte Tür immer früher und früher geschlossen. Sie sprach von seinem Scheitern und von seiner Einsamkeit. Tag für Tag, Jahr für Jahr hatte ich dieses Geräusch gehört. Ich höre es noch immer.
    In der angsterregenden Bilderflut im Fernsehen suchte ich etwas, um mich von meiner Trauer abzulenken. Wie könnte Amerika ein solches Drama überstehen? Den Russen dürfte so ein Chaos nicht fremd sein. 1962 war nichts passiert – ich hätte es mir fast gewünscht. Eine kleine Bombe in Kuba und – bingo! Wir hätten die graue Tafel abwischen und uns wieder auf den Weg machen können, ohne uns zu verlaufen. Die Zeitreise. Warum hatte Kurt uns dieses Geschenk nicht gemacht? Dann wäre seine Wissenschaft ausnahmsweise einmal zu etwas gut gewesen. Wie gern wäre ich jeden Morgen aufgewacht und hätte noch alles vor mir gehabt! Ich wäre siebenundzwanzig Jahre alt, hätte schöne Beine und würde Kurt an der Garderobe des Nachtfalter seinen Mantel reichen …
    Vor dem Tod fürchtete ich mich nicht. Ich sehnte ihn herbei. Angst hatte ich vor diesem Ende, das kein Ende nahm.

49.
    Anna wartete, bis sie außer Sichtweite der Gebäude des IAS war, um ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Sie trat gegen einen feuchten Erdhügel und ruinierte ihre Schuhe. Dieser endlose Rasen um sie herum schlummerte in der Gunst eines viel zu milden Winters. Sie schimpfte auf den blauen Himmel und diese todlangweilige Stadt. Sie verfluchte ihren Mangel an Mut und Schlagfertigkeit, sie hatte jeglichen Kampfgeist verloren.
    Calvin Adams hatte sie überrumpelt. Anlässlich eines völlig normalen Gesprächs hatte er sie aufgefordert, keine Zeit mehr mit der Witwe Gödel zu verschwenden. Seinen Quellen zufolge hätte sie noch höchstens ein, zwei Monate zu leben und wäre nicht mehr imstande, weiteren Schaden anzurichten. Er brauchte Anna nun in direkter Nähe am Institut.
    „Ich kann jetzt nicht aufhören. Ich stehe ganz kurz vor dem Ziel.“
    „Machen Sie Druck. Weinen Sie. Diese alten Ziegen sind doch immer so sentimental. Sagen Sie ihr, dass Sie Ihre Stelle riskieren.“
    Er hatte an den Knöpfen seines Sakkos herumgefummelt, Anna hatte nicht glauben wollen, was er danach gesagt hatte: „Meine liebe Anna, ich mag Sie sehr, aber Sie sind bei Ihrer Arbeit nicht mehr ausreichend bei der Sache. Sie machen alles nur halb. Auch wenn ich ein Freund Ihres Vaters bin, so bin ich auch Ihr Chef. Und ich bin nicht zufrieden. Sie müssen sich zusammenreißen. Das IAS ist eine Eliteeinrichtung.“
    Sie hatte ihre Tränen gerade noch zurückhalten können, als sie Calvins Büro verlassen hatte. Sie war so vor den Kopf gestoßen, dass ihr Gehirn erstarrt war. „Das IAS ist eine Eliteeinrichtung.“ Dieser Satz war eine Ohrfeige. Anna war immer nur ein Flicken gewesen. Und vor kaum einer Woche hatte er sie noch wie seine „eigene Tochter“ willkommen geheißen!
     
    „Sie sehen aus wie eine Frau, die kurz davor ist, einen Mord zu begehen, Anna.“
    Pierre Sicozzi kam auf sie zu, die Hände in seinem Regenmantel vergraben. Sie setzte schnell eine zugänglichere Miene auf und versuchte zu lächeln. Sicozzi machte zwei Toreroschritte – sie musste ganz einfach lachen, aber ein neuerlicher Stich der Wut rief sie zur Ordnung. Sie brauchte eine Zigarette. Dieser schwarze Tag wäre das Ende ihrer Enthaltsamkeit. Sicozzi kam ihren Gedanken zuvor und lud sie auf einen Drink ein. In den letzten Tagen war er kaum aus dem Institut herausgekommen, und es gehörte zu Annas Aufgaben, ihm Princeton zu zeigen. Automatisch sah sie auf die Uhr. Niemand wartete auf sie außer ihre blöde Katze. Sie schlug ein Lokal am Palmer Square vor. Auf dem Weg würden sie an Einsteins Haus vorbeikommen. Der Franzose konnte ja kaum abreisen, ohne es gesehen zu haben.
    „Ich hoffe, dass ich eine Schneekugel mit seinem Konterfei finde. Meine kleine Émilie sammelt diese Dinger.“
    „Einstein wird unglaublich vermarktet. Sie haben eine

Weitere Kostenlose Bücher