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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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Tochter?“
    „Sie ist acht, sie lebt bei meiner Ex-Frau in Bordeaux. Kennen Sie das Bordelais?“
    „Nein, aber ich mag den Wein.“
    „ À la bonne heure !“ – Das trifft sich gut. „Dann versuchen wir jetzt, einen schönen, alten Bordeaux zu finden. Ich verabscheue diesen kalifornischen Fusel.“
    Schweigend gingen sie zur Mercer Street. Anna versuchte, ihre widerstreitenden Gefühle zu verdrängen. Einerseits freute sie sich über ihren tollen Begleiter, andererseits war sie angewidert von ihrem Gespräch mit Adams. Sie wollte Adele nicht in Einsamkeit zurücklassen. Sie würde ihre freien Tage nutzen, um sie zu besuchen, und sie überlegte, wie sie es der alten Dame diplomatisch übermitteln könnte.
    „Ich habe viel über unsere Diskussion an Thanksgiving nachgedacht.“
    „Ich habe Leo noch nie so begeistert erlebt.“
    „Ist Leo Ihr Freund?“
    Sie stolperte über ein Erdhäufchen, Sicozzi hielt sie am Arm. Verlegen machte sie sich schnell wieder von ihm los. Sie fragte sich, ob der Mathematiker wohl mit ihr flirtete. Eine „Ex-Frau“ hatte er ja bereits erwähnt. Bei den Franzosen konnte sie Höflichkeit nicht von faulem Zauber unterscheiden. In Paris war es ihr verdammt schwergefallen, sich an diese ständige Zweideutigkeit zu gewöhnen. Sie schlug sich diese lächerlichen Gedanken aus dem Kopf – sie hatte bei Adams gerade eine schmähliche Lektion bekommen, bei der ihr klar geworden war, dass sie keinerlei Menschenkenntnis besaß. Sie sollte bei einem exotischen Exemplar also keinen neuen Versuch wagen. Wenn Sicozzi enttäuscht war, dass sie nicht auf seine Frage antwortete, zeigte er es jedenfalls nicht und schnitt ein anderes Thema an.
    „Ich dachte an Ihre Beziehung zu Frau Gödel. Ich würde wirklich gern wissen, ob es in den Unterlagen ihres Mannes einen unveröffentlichten Beweis seiner Vorlage für die Kontinuumshypothese gibt. Der Beweis wurde definitiv Paul Cohen zugesprochen. Aber Gödel hat so lange daran gearbeitet und nicht viel darüber veröffentlicht.“
    „Ich bezweifle, dass Adele in der Lage ist, das zu beurteilen.“
    „Fragen Sie sie.“
    „Bei ihr ist nichts gratis. Wir haben eine Art Deal. Sie erzählt mir aus ihrem Leben, ich erzähle ihr aus meinem.“
    „Und wo ist das Problem?“
    „Meine Kapazitäten sind langsam erschöpft. Mein Leben ist eine freudlose Gegend.“
    „Erzählen Sie ihr von Ihrem Spaziergang mit einem charmanten Franzosen.“
    Dann träumte sie also nicht – er flirtete mit ihr.
    „Mit einem Träger der Fields-Medaille!“
    „Die Ehre …“
    „… verachten nur diejenigen, die sie haben.“
    „So eingebildet bin ich nicht. Nichts erfreut mich mehr als eine schöne kleine Entdeckung!“
    Sie gingen die Mercer Street entlang. Anna passte ihre ohnehin schon zügigen Schritte denen des langbeinigen Mathematikers an. Sicozzi fühlte sich nicht verpflichtet, das Schweigen auszufüllen. Dafür schätzte Anna ihn umso mehr. Vor der Hausnummer 112 bat er sie, ein Bild von ihm zu machen, und entschuldigte sich für diese lächerliche heidnische Götzenanbetung. Bereitwillig schoss sie das Foto. Sie betrachteten eine Weile das geschichtsträchtige weiße Haus.
    „Ich mache mir immer fürchterlich viele Gedanken über solche Orte. Als würde der Geist der Verstorbenen noch dort hausen. Aber es ist einfach nur ein Haufen alter Bretter!“
    „Sie sind enttäuscht.“
    „Dazu bin ich zu verträumt. Das haben mir meine Lehrer am Gymnasium schon vorgeworfen.“
    „Für einen Träumer haben Sie es weit gebracht.“
    „Wo wohnen Sie, Anna?“
    „Wollen Sie auch mein Haus besichtigen?“
    Er sah sie an, seine Reaktion war unzweideutig. Schon lange hatte sie kein direktes Angebot mehr bekommen. Sie war nicht darauf vorbereitet, mir nichts, dir nichts vom Geplänkel zum Blitzkrieg zu schreiten.
    „Mein Hotel ist ganz in der Nähe, wenn Ihnen das lieber ist. Ich wohne im Peacock Inn . Das ist sehr gemütlich. Im Speisesaal ist ein Wandbild erhalten, das John von Neumann lesend und gleichzeitig autofahrend zeigt.“
    „Mein Beruf hat seine Grenzen. Meinem Chef würde das nicht gefallen.“
    „Das ist ein Vorwand, kein Grund. Wir müssen ihn ja nicht dazu einladen. Sind Sie gebunden? Ich sehe keinen Ehering an Ihrem Finger.“
    „Ich bin in der Rekonvaleszenz.“
    „Sie lassen Ihren Körper brachliegen?“, fragte er auf Französisch.
    „Tut mir leid, aber mein Französisch ist ein wenig eingerostet.“
    „Die Liebe ist wie Fahrradfahren. Wenn man

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