Die Göttin der kleinen Siege
Halbgötter.“
Ich bin lediglich ein einfacher Gastredner, aber ich beneide die permanenten Mitglieder – John von Neumann, Hermann Weyl, Marston Morse. Sie sind von der Pflicht der Lehre entbunden und haben nur noch die Aufgabe, zu denken. Keinen kümmert es, was man tut, sobald man eine geschäftige Miene aufsetzt.
Besonders nett ist Princeton im Herbst. Du, das Mädchen der Wiener Nächte, würdest diese flammenden Wälder und diese makellosen Rasenflächen abscheulich finden! Das Institut ist für sein erstes akademisches Jahr provisorisch an der mathematischen Fakultät in der Fine Hall untergebracht. Die Örtlichkeiten sind annehmbar, die Amerikaner legen beträchtlichen Wert auf Hygiene. Ich bereite meine nächsten Vorlesungen vor: Über formal unentscheidbare Sätze der Principia mathematica und verwandter Systeme. Einzelheiten erspare ich Dir, auch wenn eine enigmatische Aufgabenstellung Dich natürlich mitnichten aufhalten kann! Du sollst jedoch wissen, dass meine Arbeiten endlich begeisterte Aufnahme finden.
Meine Tage sind sehr ausgefüllt. Tagsüber bin ich eine Art Emeritus, abends ein einsamer Studiosus. Die Gespräche mit meinen Kollegen sind herzlich, aber letztendlich doch eher begrenzt. Die Wiener Kaffeehäuser fehlen mir! Frau Veblen wacht über mein gesellschaftliches Leben und lädt zum Tee und zu musikalischen Soireen ein.
Ich bin entsetzt über die Nahrungsmengen, die die Leute hier zu sich nehmen. Alles ist huge – von einem Steak würde ich eine ganze Woche lang satt werden, und ein Dry Martini würde in eine Duschwanne passen. Wenn ich nicht ganz besonders auf meine Diät achten würde, würde ich krank werden. Ich messe auch immer meine Temperatur. Jeden Tag mache ich lange Spaziergänge in der umliegenden Natur.
An Deinem Geburtstag kann ich nicht zugegen sein. Bei meiner Rückkehr feiern wir nach. Was soll ich Dir aus New York mitbringen? Ich habe nur wenig Zeit für solche Erledigungen, aber ich kann die Gattin eines Kollegen damit beauftragen. In Amerika werden so viele neuartige Dinge produziert, die Deine Neugier zufriedenstellen würden. Möchtest Du vielleicht Musik? Ich habe hier eigenartige Stücke gehört, die Du sicherlich lieben würdest.
Ich küsse Dich, pass auf Dich auf,
Kurt.
Ich streichelte das kleine Unendlichkeitssymbol, das schon fast verwischt war, als es dreimal an den Rollladen klopfte und ich zusammenfuhr. Durch den Türspion sah ich Liesa, die mit wenig Diskretion ihren Hüfthalter zurechtzog. Ich war unsicher, ob ich öffnen sollte. Meine Freundin hatte sich verändert, sie war nicht mehr dieser blonde Schmetterling, der mit arglosem Lächeln von Hand zu Hand flatterte, sie war nicht mehr das Mädchen, das einen Ungarn beim Wodka unter den Tisch trinken konnte. Ich schätzte ihren neuen Umgang nicht, und Kurt hatte sie nie gemocht. Schließlich antwortete ich mit demselben dreimaligen Klopfen und trat aus der Tür, die auf den Hof führte. Liesa lehnte rauchend an der von Efeu bewachsenen Mauer.
„Gehst du mit, was trinken? Ich will dir jemanden vorstellen.“
„Mein Vater kommt gleich. Ich gehe nach Hause.“
Sie warf ihren Zigarettenstummel auf die Erde und trat ihn mit ihrem von zu viel Black-Bottom-Tanzen abgetretenen Absatz aus.
„Er wird nicht zurückkehren. Du warst für ihn nur ein Zeitvertreib. Du bist vierunddreißig – du vergeudest deine besten Jahre mit Warten. Komm schon, die Nacht ist noch jung!“
Ich zitterte in meinem leichten Mantel. Der Winter würde hart werden, und von meinen schönen Augen konnte ich mir nichts mehr kaufen.
„Du hängst dich an einen Geist. Was findest du bloß an diesem Muttersöhnchen, dem nie auch nur ein Wort über die Lippen kommt?“
Ich war zu müde, um mir ihre Kritik anzuhören. Ich blickte die Straße hinauf und hinunter – die Verspätung meines Vaters machte mir Sorgen. Liesa drehte mein Gesicht zu sich und zwang mich, sie anzusehen, ihre Hände waren trocken. Ich stieß sie weg und zog meinen Hut tiefer in die Stirn.
„Meinst du, er wird hier aufkreuzen und um deine Hand anhalten? Dir Kinder machen und dich sonntags zum Mittagessen bei der gnädigen Frau Schwiegermutter einladen? Hör auf, mein Gott! Er ist weg! Tu was!“
„Er kommt wieder.“
„Du weißt ganz genau, dass dein Kerl nicht alle Tassen im Schrank hat. Er ist geisteskrank. Und er verkehrt mit Juden und Roten! Du gehst zu oft ins Kino, meine Liebe – es gibt hier kein Happy End. Krieg endlich deinen Arsch hoch,
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