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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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solange er noch etwas wert ist!“
    „Das zwischen uns ist etwas Besonderes.“
    „Wie lange geht diese Geschichte denn nun schon? Sechs, sieben Jahre? Hat er dich seiner Familie vorgestellt? Nein. Also!“
    „Für wen hältst du dich, dass du meinst, mir eine Standpauke halten zu können?“
    „Armes Mädchen – du willst mit den großen Hunden pinkeln, kriegst aber das Bein nicht hoch. Schau doch, wo du herkommst! Was glaubst du denn? Für die bist du nur eine Nutte, Adele. Aber eine Nutte lässt sich bezahlen – du hingegen schuftest als Serviererin, um ihm seine Extrawünsche zu erfüllen. In was für einer Welt lebst du denn, verdammte Scheiße?“
    „Nicht in deiner.“
    Sie schnalzte mit der Zunge und ging ihren Hintern schwenkend weg. In diesem Augenblick habe ich mich für immer von unseren rosigen gemeinsamen Jahren verabschiedet.
    Liesa hatte sich fürs Überleben entschieden und drängte mich, dies auch zu tun. Jeder Einwohner der Stadt musste seine Wahl treffen – nicht von der Hoffnung getrieben, sondern aus Angst: Wer war gefährlicher, die Roten oder die Braunen? Wer würde unser Wien erhalten, wie wir es kannten? Wer konnte, floh aus der Stadt. Das Fest war zu Ende. Es herrschte nur mehr Verwirrung. Ich war allein. Ich wollte mich nicht entscheiden, ich wollte keine Angst haben. Ich wollte bloß aus dem Karussell aussteigen, mit Kurt ins Café Demel gehen, ein Eis essen und ihm den Kopf verdrehen.

13.
    Anna stand ganz aufrecht, die Knie zusammengepresst. Sie hatte in Calvin Adams’ Gegenwart immer Beklemmungen, er erinnerte sie zu sehr an ihren Vater – dieser Dünkel, diese altmodische Sicht der Welt als eine Aufeinanderschichtung undurchlässiger Bereiche. Auch sein Büro roch so wie das ihres Vaters: ledergebundene Bücher, Erinnerungen an sein Studium an den elitären Ostküstenuniversitäten, der Ivy League , und ein leichter Gestank von sündhaft teurem Alkohol, der hinter der Mahagonitäfelung versteckt war. Anna konzentrierte sich auf die Schuppen, die Adams’ ultramarinblauen Blazer verunstalteten. Beim Anblick des Rollkragens unter seinem Hemd musste sie an Adele denken.
    „Sie wirken zufrieden, Miss Roth. Demnach machen Sie wohl Fortschritte.“
    „Wenn Sie damit meinen, dass ich Ihnen morgen drei Kartons voller Dokumente bringe – dann nein. Diesbezüglich komme ich nicht weiter, Sir.“
    Calvin Adams stand auf und musterte sie von oben herab.
    „Wieso plötzlich so aggressiv, Miss Roth?“
    Sie konzentrierte sich noch mehr, sie durfte ihn nicht gegen sich aufbringen. Sie hatte seine blindwütigen Zornausbrüche schon erlebt.
    „Sie müssen mich entschuldigen – ich war in letzter Zeit ziemlich beansprucht.“
    „Dann lassen Sie sich helfen. Ich bin doch kein Unmensch, verflucht! Sie müssen die Alte nicht alle drei Tage besuchen, wir haben hier genügend zu tun. Wir erwarten eine Delegation aus Europa. Ich werde Ihre Fähigkeiten als Dolmetscherin brauchen.“
    „Das ist nicht meine Aufgabe.“
    „Ich habe mit Ihrem Vater gesprochen. Sie brauchen eine Arbeit, bei der Sie mehr unter Menschen kommen. Sie haben schon zu viele Jahre inmitten alter Papiere verschwendet.“
    Anna hatte schon damit gerechnet, dass ihr Erzeuger früher oder später seine Patriziernase in ihre Angelegenheiten stecken würde. Das Motto von Princeton, welches am Eingangsgiebel der Bibliothek eingemeißelt war, erinnerte sie ständig daran: Dei sub numine viget – „unter Gottes Macht gedeiht sie“. Doch unter seiner Allmacht war sie gewelkt.
    „Ich bin sehr dankbar für die Stelle, die Sie mir hier angeboten haben, auch wenn ich weiß, dass ich es meinem Vater verdanke.“
    Calvin Adams knöpfte seinen Blazer auf und schob seinen Sessel ein Stückchen zurück. Annas Welt bestand aus Stühlen auf Rollen.
    „Wir sind hier unter uns. George ist ein langjähriger Freund, seine Sorge ist durchaus berechtigt. Für meinen Sohn würde ich genauso viel tun.“
    „Wir hatten über Missis Gödel gesprochen.“
    Die Erwähnung seines Sohnes Leonard hatte Anna den Rest gegeben. Vor allem hier in diesem Büro, wo dieser ihr zwanzig Jahre zuvor seine Strange -Sammlung schenken wollte, nur damit sie ihr Höschen herunterließ. An jenem Tag waren die beiden Väter im Vorzimmer in einer hitzigen Diskussion begriffen gewesen, aber sie hatte Leo hinter der gepolsterten Tür ganz kurz ihren Schoß zeigen können – nicht wegen seiner langweiligen Comics, sondern um ihm zu beweisen, dass sie ihm gewachsen

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