Die Göttin der kleinen Siege
war.
„Wenn die Sache zu nichts führt, hat es keinen Sinn, sich damit aufzuhalten. Ich habe den x-ten Einstein-Biografen am Hals und noch ein Dutzend Kongresse vorzubereiten.“
„Missis Gödel hat mir versichert, dass alle Papiere noch vorhanden sind.“
„Das ist doch schon mal ein guter Anfang. Dann müssen Sie sie jetzt nur noch von unseren aufrichtigen Absichten überzeugen.“
„Das ist nicht so einfach.“
„Dennoch haben Sie die Gödel für sich einnehmen können. Glückwunsch!“
Anna hatte keine Wahl gehabt. Sie hatte Adams einen Knochen hinwerfen müssen, damit er sie nicht einer neuen Aufgabe zuteilte. Nun kam er zum wahren Grund dieses Gesprächs. Er spielte an seinen vergoldeten Blazerknöpfen herum – bei ihm ein Zeichen für eine gewisse Verlegenheit, sofern er überhaupt fähig war, verlegen zu sein.
„Ich zähle auf Ihr Kommen zu Thanksgiving. Virginia wird begeistert sein, Sie wiederzusehen. Wir haben zwei, drei Nobelpreisnominierungen, eine sichere Fields-Medaille und einen Richardson-Erben zu Gast.“ 5
„Vielen Dank, aber ich fühle mich bei solchen Dinnerpartys nicht so wohl.“
„Es ist keine Einladung, es ist eine Dienstverpflichtung, Miss Roth! Ich habe für diesen Abend keinen Dolmetscher zur Verfügung, und dieser verdammte französische Mathematiker hat einen derart schlimmen Akzent, dass ich von seinem Kauderwelsch nur jedes drittes Wort verstehe. Ich brauche Ihre Hilfe. Und Sie geben sich doch Mühe bei Ihrer Garderobe, nicht wahr?“
Anna überlegte, ob er ihr nun den Gnadenstoß versetzen und ihr die legendäre Eleganz ihrer Mutter in Erinnerung rufen würde. Aber das wagte er nicht. Der Schatten ihres Vaters war groß genug, um dieses Thema im Keim zu ersticken. Es fehlte nur noch, dass auch Leo bei diesem Abendessen dabei wäre. Sie verabschiedete sich in aller Eile. Sie wollte nur noch schreien. Dazu wartete sie aber, bis sie sich unter die Dusche geflüchtet hatte. Die pfleglich getrimmten Rasen von Princeton schätzten, wenn überhaupt, nur gemäßigte hysterische Anfälle.
Am Fenster seines Büros folgte Adams der zierlichen Gestalt mit dem Blick. Er hatte dieses Mädchen damals nicht verstanden, die junge Frau verstand er nun auch nicht besser. Es kribbelte in seinen Lenden, als er an diejenige dachte, die sich vor dreißig Jahren bei einer Studentenfeier in Princeton neben ihn gesetzt hatte. Die strenge Anna war das genaue Gegenteil von Rachel. Rachel war unwiderstehlich – eine hervorragende Dozentin mit atemberaubendem Dekolleté. Sie – beide waren schon mit anderen verlobt – hatten nur einen einzigen, ziemlich frustrierenden Tanz zusammen verlebt. Adams kratzte sich am Unterleib. Andere Zeiten, andere Sitten. Heute reichte es ihm, wenn man ihm etwas zu trinken anbot. Er schloss die Tür und gönnte sich einen kleinen flüssigen Trost, um spukende Bilder von weißen Schenkeln und Brüsten, so groß wie Fußbälle, aus dem Kopf zu bekommen. Er müsste seiner Frau Bescheid sagen, dass Anna zu ihrer Dinnerparty käme. Virginia mochte Anna nicht, sie hatte auch ihre Mutter nie leiden können. Mit ein bisschen Glück würde sich auch sein außerirdischer Sohn herablassen, zu ihnen zu stoßen. Mit ein bisschen Glück würde Andrew W. Richardson jr. etwas für ihn zu tun haben. Und wenn es ein Wunder gäbe, wäre Virginia am Ende des Abends nicht betrunken. Doch mit Glück hatte das alles nichts zu tun. Er goss sich noch einen Schluck ein und versteckte die Flasche wieder, bevor er seine Sekretärin rief.
„Missis Clark, ich muss dringend mit meinem Sohn sprechen. Rufen Sie den Hausmeister des Massachusetts Institute of Technology an und sagen Sie ihm, er soll dieses Subjekt wecken, das über leeren Pizzakartons pennt.“
14.
Januar 1936
Notwendig, aber nicht hinreichend
„Nicht einmal die Hölle könnt’ eine ärgere Tortur aussinnen,
als derjenige sie empfinden muss,
welcher sich um seiner abnormen Stärke willen einer
abnormalen Schwäche bezichtigt sieht.“
Edgar Allen Poe, Marginalia
Wie seine Familie wollte auch ich glauben, dass Kurts erste Depression ein unglücklicher Umstand war und es dabei bleiben würde. Wenn wir wieder zusammen wären, würde sich seine Gesundheit festigen, ich wäre ihm genug. Nach dem Chaos würde wieder Ordnung einkehren. Aber 1934, nach seiner Rückkehr aus den USA, brach er erneut zusammen, und sein Zustand zwang ihn zu einer langen Erholungskur.
Kurz nach Hans Hahns Tod kündigte sich Kurts zweite
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