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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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und stellte die Wassertemperatur immer höher, bis es fast nicht mehr auszuhalten war. Im Bademantel legte sie sich wieder ins Bett, Haut und Haare waren nass. Trotz ihrer Benommenheit konnte sie nicht mehr einschlafen. Sie begann, sich zu streicheln. Die Katze beobachtete sie vom Fußende aus. Anna konnte sich nicht konzentrieren. Sie stand auf und sperrte den kleinen Spanner in die Küche. Dann liebkoste sie sich weiter und dachte dabei an eine Szene, deren Wirksamkeit garantiert war, auch wenn sie immer von einem Gefühl der Unvollendetheit begleitet wurde.
     
    Sie ist achtzehn Jahre alt. Sie begleitet ihren Vater zu einem Abendessen bei den Adams. Seit jenem berühmten Brief, den sie noch immer bereut, hat sie Leo nicht mehr wiedergesehen, auf die folgenden Briefe hat er nicht geantwortet. Während des Essens ist er distanziert und verschwindet nach dem Dessert. Anna verlässt den Tisch und flüchtet in die Bibliothek. Leo kommt herein, schließt die Tür ab und drückt sie ohne ein Wort an die Regale. Sie kennt seine verstockte Miene – so sieht er immer aus, wenn er, was selten vorkommt, im Schach verliert. Er küsst sie, seine schlaffe Zunge schmeckt nach Whiskey. Er hat seinen Mut zusammengenommen, sie haben sich zuvor nie geküsst – aus purem Trotz; um zu sehen, wer als Erster darum betteln würde. Sie fragt sich, ob sie überhaupt Lust auf ihn hat. Denn sie würden es tun, diese Sache, die die Partitur ihrer Erinnerungen werden sollte. Sie würde sich gern mitreißen lassen, aber so ist es nicht. Sie hat sich diese Szene oft vorgestellt – grob, aber elegant, ganz anders als diese linkische Wirklichkeit. Sie verhalten sich wie ein altes Paar, aber ohne die Vertrautheit, die sie davon erlösen würde. Sie berührt einen Mann, spürt aber noch das Kind, den Jugendlichen, den Freund. Es ist derselbe Geruch, nur stärker. Hier, der Leberfleck auf der Wange, ist nun mit Bartschatten bedeckt. Es ist wie ein bekanntes Lied, aber in einer anderen Tonart. Ihr Geist stolpert über diese Fremdheit, verbietet ihr loszulassen. Also arbeitet sie die Liste dessen ab, was andere ihr beigebracht haben. Sie will es tun, sie schiebt eine Hand unter sein T-Shirt, erkundet seine heiße Haut, die zu den Lenden hinunter kälter wird. Ihre Finger wandern zu Leos Hintern, der sich verkrampft. Sie kämpft mit seinem Hosenschlitz, um sein Glied herauszuholen. Sie streichelt den harten Schwanz und stellt fest, dass sie bisher nur mit Beschnittenen zu tun gehabt hat. Leo drückt ihre Arme auseinander und zwingt sie zur Passivität. Sie klammert sich an das krude Bild dieses kurz erblickten Penis. Unter Leos riesigen Händen kommt sie sich winzig vor. Und dann endlich verschwindet der kleine Junge.
    Er vögelt sie im Stehen in der Stille, die vom Ticken einer Standuhr rhythmisiert wird. Die Holzleisten an ihrem Rücken schmerzen bei jedem Stoß. Es ist ein Hinrichtungskommando. Er will Rache nehmen. Sie hat noch eine Rechnung offen. Diesen Teil ihrer Persönlichkeit, der von der Unterwürfigkeit erregt wird, kennt sie nicht. Sie spürt die Lust zu schnell aufsteigen. Die Stöße kommen im Takt der Uhr. Sie schluckt ihr Stöhnen, macht die Augen auf – er sieht nicht zu, wie sie kommt.
     
    Der erwartete Orgasmus breitete sich in ihrem Schoß aus, sie lächelte. Die kleine Maschine funktionierte also noch. Was danach gekommen war, wollte sie lieber vergessen. Sie hatten sich wieder angezogen und die Tür aufgeschlossen. Bevor sie das Zimmer verlassen hatten, hatte sie noch eine zärtliche Berührung eingefordert, ein Wort, aber er hatte sie zerstreut weggeschoben. „Warte, ich muss kurz etwas notieren, dann komme ich.“ Sie hatte begriffen, dass sie ihr Leben lang betteln würde, wenn sie nun, in diesem Augenblick, auf ihn warten würde. Als sie in die Küche gekommen war, hatte Ernestine, das Hausmädchen der Adams, ihren derangierten Aufzug bemerkt und sie hämisch angelächelt, ihre Blässe hatte sie wohl als Verlegenheit gedeutet. Anna war gegangen, ohne sich von Leo zu verabschieden, und hatte Gleichgültigkeit vorgeschützt, als er am nächsten Morgen wieder bei ihr auf der Matte gestanden war.
    Sie blickte auf den Radiowecker: 6 Uhr 05. Es war noch eine gute Stunde Zeit, bevor sie sich dem Tag stellen müsste. Sie streckte den Arm aus und nahm blind ein Buch vom Stapel auf ihrem Nachtkästchen.
    Ihre Eltern hatten sich fast über ihre Leselust gefreut. Aus der Kleinen würde etwas werden. Natürlich wäre sie nie so genial

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