Die Göttin der kleinen Siege

hätte für meinen letzten Aufenthalt in Princeton nicht um Erlaubnis gefragt … Deshalb haben sie mich zur Rückkehr aufgefordert.“
    „Das ist gelogen. Sie wussten ganz genau Bescheid.“
    „Nun wird alles in Berlin entschieden. Die Universität wird nach der neuen Ordnung reformiert. Den Titel Privatdozent wird es nicht mehr geben. Ich bin angehalten, einen offiziellen Antrag beim Ministerium zu stellen und um eine ‚Dozentur neuer Ordnung‘ anzusuchen.“
    „Ich scheiß’ auf die ‚neue Ordnung‘! Das ist doch ein Puff hier!“
    „Sei nicht obszön, ich bitte dich.“
    „Kurt! Du weißt, was das bedeutet.“
    Den Blick in die Ferne gerichtet, knöpfte er seinen Mantel falsch zu. Ich beeilte mich, es zu berichtigen, er ließ mich machen.
    „Ich muss eine Lösung finden, ansonsten kann ich unmöglich nach Princeton zurück.“
    „Das Risiko übersteigt bei Weitem ein Reiseverbot – du kannst eine Einberufung nicht mehr länger aufschieben.“
    „Jetzt reg dich doch nicht immer so auf. Ich bleibe ein bedeutendes Mitglied der Universität. Ich habe Rechte, dennoch …“
    „Du wirkst heute Morgen sehr selbstsicher.“
    „Ich habe bei Hans Hahn promoviert. Die neue Verwaltung schließt alle aus, die des Kontaktes mit Juden oder Freidenkern verdächtigt werden.“
    „Das ist ja der Gipfel! Ausgerechnet du, der du dich nie um Politik geschert hast!“
    „Wenn ich zu ihren Bedingungen weiter an der Universität tätig bin, halten sie mich an der Leine. Ich werde betteln müssen, damit ich reisen darf. Meine Arbeiten werden zensiert und nach ihrem Gutdünken beurteilt. Das kommt gar nicht infrage.“
    „Aber ohne ihr Einverständnis kannst du nicht weggehen. Das ist eine Falle.“
    „Nur eine Demonstration ihrer Macht.“
    Ich war laut geworden und hatte wohl Aufmerksamkeit erregt, denn eine Gruppe Braunhemden kam auf uns zu.
    „Hier bleiben wir nicht, es ist zu gefährlich.“
    „Du übertreibst, Adele. Ich bin hier in meiner eigenen Universität.“
    Wir hatten gerade die Tür erreicht, als der erste Fanatiker uns hinterherrief:
    „He, Jude! Führst du dein Blondchen spazieren?“
    Kurt drückte meinen Arm so fest, dass es wehtat. Ich hatte noch nie erlebt, dass er einem offenen Angriff ausgesetzt war.
    „Mit Verlaub, mein Herr!“
    Ich verdrehte die Augen. In was für einer Welt lebte Kurt? Es brachte nichts, es war geradezu dumm, sich einer solchen Provokation zu widersetzen.
    Der erste Kerl mit der Hakenkreuzbinde schnippte meinem Mann den Hut vom Kopf. Er war keine zwanzig Jahre alt und hatte eine Babyhaut, die seine Mutter sicherlich noch immer glücklich machte.
    „Vor mir nimmt man den Hut ab, mein Härrr!“
    Mein Bauch verkrampfte sich, ich spürte, wie sie uns immer dichter umringten.
    „Stark bist du nur hinter deinem Rednerpult, was?“
    „Ich erinnere mich nicht, Sie in meinen Seminaren gesehen zu haben.“
    Der Bursche wollte vor seinen Kameraden auftrumpfen und gab diesen Mist von sich, den man schon hundertmal gehört hatte: „Der hat doch keine Ahnung! Als würde ich in Judenseminare gehen!“
    Die Männer aus meiner Vergangenheit hätten diese üble Szene beendet und die Fäuste spielen lassen, auch wenn sie in der Unterzahl gewesen wären. Kurt aber hatte den irren Blick eines Erstickenden.
    „Lasst ihn in Ruh’! Er ist ja gar kein Jud’!“
    „Was? Hat er zusammen mit seinen Eiern etwa auch die Sprache verloren?“
    Er kniff mich in die Taille.
    „Willst du mal einen Mann haben, einen richtigen Mann, Mädchen?“
    Ich stieß ihn zurück und packte die Hand meines Mannes.
    „Kurt, wir gehen! Jetzt!“
    Eine braune Hecke schloss sich vor uns.
    „Nicht so eilig, meine Hübsche! Dein Hampelmann bleibt bei uns. Wir haben etwas zu bereden.“
    Jahrelang hatte ich mir die Besoffenen aus dem Nachtclub vom Leib gehalten und würde mich nicht von diesen Bürschchen einschüchtern lassen, egal, welche Farbe ihre Hemden hatten. Manchmal musste man nur die Zähne zeigen, dann verzogen sie sich wieder in ihre Löcher.
    „Haut ab! Uns macht ihr keine Angst. Ihr seid ja nicht mal würdig, seine Schuhe zu putzen!“
    Kurt wollte die Ohrfeige parieren, die mir bestimmt war. Seine Brille fiel auf den Boden, er bückte sich, um sie unter dem Grinsen der Kerle aufzuheben. Ich wusste, dass sie Hackfleisch aus ihm machen würden. Ich sah rot. Ohne zu überlegen, schwenkte ich meinen Schirm im Kreis. Ich traf dabei ein paar verdutzte Köpfe, zog Kurt auf die Beine und hob im selben