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Die Göttin der kleinen Siege

Die Göttin der kleinen Siege

Titel: Die Göttin der kleinen Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannick Grannec
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auf ihre Armbanduhr, die sich rasend weitergedreht hatte. Sie hoffte, dass Jack starke Nerven bewies und wegen ihrer Verspätung keinen Alarm schlug. Adele hatte den Film bis zur letzten Zeile des Nachspanns auskosten wollen. Die Jugendlichen zogen grölend ab, mit ihrem Lachen überspielten sie die Verlegenheit, von diesen altbackenen Liedern angerührt worden zu sein. Das verliebte Paar rauchte zusammen eine Zigarette – Adele schnorrte eine unter dem panischen Blick ihrer Anstandsdame und genoss einen ausgiebigen Zug.
    „Sie sagen doch meinen Eltern nichts!“
    Anna widerstand der Versuchung, so gut es ging. Auf die Zigarette nach dem Kino hatte sie früher nie verzichten können. Adele sah sich verträumt das Filmplakat von Shining an. Anna verkrampfte sich – ein zweites Mal würde sie eine solche Expedition nicht auf sich nehmen.
    „Das ist ein Horrorfilm, Adele.“
    „Auch Mumien haben das Recht, Angst zu haben! Ich hätte diesen Kubrick kennenlernen können, wenn Kurt sich dazu herabgelassen hätte, seinen schwarzen Schreibtisch für zwei Sekunden zu verlassen.“
    Anna vergaß die Uhrzeit.
    „Stanley Kubrick plante einen Film über künstliche Intelligenz oder über eine Zeitreise. Ich erinnere mich nicht mehr so gut an die Einzelheiten. Kurt reagierte nicht auf seine Briefe, und Kubrick, der in London lebte, wollte nicht in die USA reisen! Ein Treffen zwischen den beiden war also ein Ding der Unmöglichkeit.“
    „Kurt Gödels Name im Nachspann eines Science-Fiction-Films! Einem Freund von mir würde diese Geschichte gefallen. Er ist besessen von 2001: Odyssee im Weltraum . Ich selbst habe bei diesem Film nie bis zum Schluss durchgehalten.“
    Adele drückte ihren Zigarettenstummel mit der Spitze ihres Gehstocks aus.
    „Wenn ich das richtig verstanden habe, haben Sie wohl die meisten Nachspanne verpasst. Und von welchem Freund sprechen Sie eigentlich?“

34.
5. Dezember 1947
So wahr mir Gott helfe
    „Ich schwöre hiermit unter Eid,
dass ich absolut und vollständig jeder Treuepflicht
und Bindung gegenüber jedem ausländischen Prinzen,
Potentaten, Staat oder einer selbstständigen Einheit,
denen ich zuvor verpflichtet war, entsage; dass ich die Verfassung und die Gesetze der Vereinigten Staaten von Amerika gegen jeden Feind unterstützen und
verteidigen werde, nach außen wie nach innen […].
So wahr mir Gott helfe.“
Treueid der Anwärter auf die amerikanische Staatsbürgerschaft
     
     
    „Wo bleiben sie nur? Wir kommen zu spät!“
    „Bis Trenton ist es kaum eine halbe Stunde Fahrt. Vor der Verteidigung deiner Doktorarbeit warst du sehr viel gelassener, Kurtele.“
    „Das ist ein wichtiger Tag. Wir dürfen keinen schlechten Eindruck machen.“
    Morgenstern kam mit seinem hellgelben Auto die Straße heraufgefahren und hupte, als er uns sah. Er bremste vor uns ab, und Alberts zerzaustes Haupt tauchte aus der Wagentür auf.
    „Wie elegant Sie sind, Adele! Sie machen Ihrer neuen Heimat alle Ehre!“
    Ich drehte mich um die eigene Achse, um mich bewundern zu lassen: Chenillemantel, Wildlederhandschuhe, schwarzes Hütchen.
    „Sie hätten eine Krawatte anlegen sollen, Herr Einstein.“
    „Es ist mir egal, was dieser Hoover denkt, Gödel – ich bin seit 1940 amerikanischer Staatsbürger. Damit habe ich das Recht erworben, so herumzulaufen, wie ich will. Ich wollte eigentlich im Morgenrock aufbrechen, aber Oskar hat sein Veto eingelegt.“
    Bei dieser Vorstellung wurde Kurt bleich vor Grauen – mit seiner Verachtung jeglicher gesellschaftlicher Konventionen wäre Albert durchaus dazu imstande gewesen. Morgenstern forderte uns zum Einsteigen auf. Die groß gewachsene Gestalt im Tweedanzug passte so gar nicht zum Boheme-Aufzug des erlauchten Beifahrers. Wir setzten uns auf den Rücksitz der Limousine. Die Fahrt hatte etwas von der festlichen Ausgelassenheit eines Studentenausflugs. Nur Kurt war angespannt. Er hatte seine beiden engsten Freunde gebeten, als Rechtmäßigkeitszeugen der Zeremonie beizuwohnen. Sechs Jahre nach unserer abenteuerlichen Ankunft in den USA beantragten wir nun die Staatsbürgerschaft. Mein Mann, im Herzen immer der gute Schüler, hatte sich monatelang auf diese Anhörung vorbereitet. Obwohl Oskar ihm vergebens die Sinnlosigkeit dieser Mühen vor Augen gehalten hatte, hatte er strebsam die Geschichte der Vereinigten Staaten, die Verfassung in all ihrem Umfang und die Lokalpolitik in allen Einzelheiten gepaukt. Jeden Abend war ich von Kurt beim Essen einem Quiz unterzogen

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