Die Göttin im Stein
Kupferklinge.
Hinter den König traten drei Priester: Rösos, Daios, Hoiriacos.
Der König vor dem Hengst, die Axt in der Hand.
Der Schimmel bäumte sich auf, stieg auf die Hinterhand, drohend blitzten seine entblößten Zähne, zornig trommelten seine Vorderhufe gegen die Luft.
Mit äußerster Mühe brachten die Wolfskrieger den Hengst wieder zu Boden.
Lykos dehnte die Brust. Auch er hatte einst wie diese Krieger einen geweihten Hengst gebändigt.
Der König riß den Arm weit zurück, ließ die Axt mit vernichtender Stärke niederfahren, dem Hengst in den Schädel. Der Hengst brach in die Knie.
Schon war Rösos, Oberster der Priester, über dem Pferd, trennte ihm mit dem Dolch die Kehle durch.
Wie einen Schrei aus einer einzigen Kehle ließen die Männer markerschütternden Ruf erklingen, alle: die weißgekleideten Priester, die schwarzgekleideten Herren, die Krieger mit den roten Mänteln. Dann brachen sie ab – atemlose Stille.
Rösos hielt die Schale in den heftig quellenden Blutstrom und sprengte rote Tropfen in das Feuer.
»Siehe dies Blut in der Flamme, o Weltenrichter und -lenker.
Herrscher der Herrscher und Vater der Väter, erhör unser Bitten!
Pflege Gemeinschaft mit uns, nimm an, womit wir dich ehren,
heilig die Glut dir, das Feuer der Wahrheit, das Licht deiner Weisheit!«
Hoiriacos nahm seine Stelle ein, beugte sich vor, eine Streitaxt aus makellosem Stein in der Hand, tauchte die Axt in das Blut, hielt sie in den bittend geöffneten Händen gen Himmel.
»Siehe das Blut auf der Streitaxt, o göttlicher Krieger und Kämpfer, alles vernichtender Rächer und Held aller Helden, erhör uns! Pflege Gemeinschaft mit uns, nimm an, womit wir dich ehren, heilig die Axt dir, männlichste Waffe und Schneide des Todes!«
Langsamer strömte nun das Blut des Pferdes. Da kniete Daios vor dem Blutsee nieder, hegte eine sorgsam aus Eichenholz geschnitzte Pflugschar und ein buntledernes Zaumzeug hinein und bot dann beides dar.
»Sehet das Blut auf der Pflugschar, auf des Pferdes Zügel und Zaumzeug, göttliche Brüder, Hüter der Viehzucht, Bewahrer der Feldfrucht!
Pfleget Gemeinschaft mit uns, nehmt an, womit wir euch ehren, heilig der Pflug euch, das Zaumzeug, die Zeichen des sorgsamen Landwirts!«
Rösos stimmte den heiligen Gesang an, alle versammelten Männer fielen in das Lied ein.
Da wandte sich der König ab, ging gemessenen Schritts über die frühlingsgrüne Wiese, auf dem Steg über den um den Königshof herum ausgehobenen Graben, durch das Tor der hohen Palisadenbewehrung hinein in seinen Hof – und trat mit einer tief verschleierten Frau wieder heraus.
Unter dem Gesang der Männer führte er feierlich an erhobener Hand die Verschleierte zu dem geopferten Hengst und blieb mit ihr vor dem toten Tier stehen: einzige Frau unter Männern.
Der Gesang verklang.
Lykos erschauerte.
Unzählige Male hatte er ohne Erschauern dem Tod ins Auge geblickt.
Dies hier war etwas anderes.
In das Schweigen hinein sprach der König:
»Heiliger Hengst, du Hort aller Stärke, du Wilder und Schöner,
der du geopfert dein Leben den Göttern zu Ruhm und Ehre,
siehe, die stets ich gehütet in eifersüchtigem Zorne, meine Geliebte, von allen Weibern die Reinste und Schönste,
dir nun biet' ich sie dar, die außer mir keiner besessen, daß du ihr beiwohnst und teilest mit ihr das heilige Lager, teilhaben läßt uns durch sie an deinem unsterblichen Segen!«
Damit hob der König die verschleierte Frau auf seine Arme, kniete mit ihr nieder, legte sie neben den Leichnam des Hengstes, legte sie in das Blut zwischen die Schenkel des Hengstes.
Dann stand er auf, nahm seinen gewaltigen Sternenmantel von den Schultern und deckte damit beide zu, den Hengst und die Frau.
Der König trat zurück, kniete nieder.
Mit ihm die Männer.
Lykos schloß die Augen wie alle. Dies war der Augenblick des Mysteriums, zu groß für menschliche Sinne.
Nun geschah das Unfaßliche: Nun wurde die Frau zum Gefäß für den göttlichen Segen – für kurze Zeit nur, bis sie ihn an den König weiterreichte, wenn dieser ihr beiwohnte.
Im Heil des Königs würde der Segen über sie alle kommen.
Damit die Welt in der rechten Ordnung blieb, Regen und Sonne das rechte Maß hielten, so daß ihre Herden Nahrung im Überfluß fanden und das Getreide gedieh, damit das Vieh sich vermehrte und von Seuchen verschont blieb.
Damit Stärke und Wut der Wolfskrieger ins Unermeßliche stiegen, ihre wilde Lust am Kampf ebensowenig erlahmte wie ihr
Weitere Kostenlose Bücher