Die Göttin im Stein
untrüglicher Sinn für Gefahr.
Damit Weisheit und Klugheit regierten, Strenge und Gerechtigkeit, Ehrfurcht und Furcht vor den Himmlischen.
Die Himmlischen, zu Gast geladen beim Königsmahl – herbeigebeten und gepriesen in Liedern und Gesängen, geehrt im Opfer, in Feuer und Wasser, bewirtet mit dem Besten aller Speisen und Getränke –, weilten unter ihnen. Das Mahl zu Beginn des Königsrates war in vollem Gange.
Eine sehr junge Frau kniete bei Lykos nieder und reichte ihm Lammfleisch und Grütze. Sie hatte flachsblondes Haar.
Er
saß auf dem Bett, noch wohlig schwer und weich von der Liebe.
Naki kniete bei ihm nieder, wickelte die Fellstreifen um seine Füße, band die Lederschnüre.
Ihr flachsblondes Haar schimmerte im Fackellicht wie Bernstein.
Er streckte die Hand aus, strich sanft darüber.
Sie schrak zusammen, der Flaum feiner Härchen in ihrem Nacken sträubte sich.
Sie griff nach seiner Hand, drückte ihr heißes Gesicht hinein. Ihre Lippen zitterten. Er spürte das Beben in seiner Handfläche.
Er zog die Hand zurück, stand auf.
Eine unbestimmte Traurigkeit erfüllte ihn.
»Gib mir meinen Mantel! Ich will gehen!« Der harsche Ton seiner eigenen Worte vertrieb ihm die seltsame Stimmung.
Die junge Frau lud mehr und mehr Fleisch in seine Schale. Ein Stück davon brach ab und fiel auf seinen Kittel. Ein Fettfleck breitete sich aus. »Kannst du nicht aufpassen!« sagte er scharf.
Sie stammelte unbeholfen eine fehlerhafte Entschuldigung – in Nakis singendem, dunklem Tonfall. Panische Furcht in ihren hellen Augen.
Er
griff in Nakis Haar, bog ihr den Kopf zurück.
Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Herr«, bettelte sie in panischer Furcht, »Herr!«
Mit einer ungeduldigen Handbewegung verscheuchte er die junge Frau.
Was sollten ihm diese Erinnerungen! Die Zeit mit Naki war vorbei. Endgültig. Als ihm aus ihrer leeren Fratze die Dämonen entgegengegrinst hatten, waren ihm die Augen aufgegangen.
Er war fertig mit ihr.
Er widmete sich dem Essen, aß mit großem Hunger, doch mäßigem Vergnügen: Das Lamm dürfte zarter und saftiger sein, die Grütze würziger.
Hairox neben ihm war der gleichen Meinung. »Cythia sorgt für besseres Essen ahs die Gemahlin des Königs! Und deine Moria erst recht!«
»Rösostöchter!« sagte Lykos zufrieden und lachte. »Mit Moria als Hausfrau würde ein Königsmahl ein Ereignis, von dem man noch Monde später spräche!«
»Da hast du recht«, bestätigte Hairox. »Ich wollte es dir sowieso schon sagen: Überall rühmt man deine Gastfreundschaft – und Morias Bewirtung! Noch nie, so sagt man, fand man sie unvorbereitet. Noch nie wurde man an deinem Herd mit altem Brot, schalem Bier, Pökelfleisch und Grütze abgespeist.
Du hast mit deiner Frau einen guten Griff getan, Schwager, das muß man dir lassen!«
Lykos grinste. »Vor allem halte ich sie gut im Griff! Ich stelle sie auf die Probe. Lade Gäste ein, ohne ihr davon zu sagen. Eine ständige Prüfung – das ist das ganze Geheimnis! Machst du's mit Cythia anders?«
Hairox strich seinen Bart. »Sie sind Schwestern und können beide kochen. Aber Cythia ist nicht wie Moria«, erwiderte er einsilbig.
Lykos hörte kaum hin.
Er würde weiter Moria mit unvorhergesehenen Gastmählern in Übung halten. Es war nötig, damit sie nie erlahmte und gerüstet war für jene entscheidenden Augenblicke, in denen er gezwungen war, bedeutende Gäste wirklich ohne vorheriges Wissen willkommen zu heißen.
So wie damals vor Wintereinbruch, als er im Heiligen Eichenhain den eichenkundigen Priester Daios beim Orakel für einige Herren des Königsrates getroffen und die Gelegenheit erfaßt hatte ...
Damals hatte er zum ersten Mal begriffen, daß es auf mehr ankam, als ein angesehener Herr zu sein, irgendein Mitglied des Königsrates unter vielen.
Damals hatte er zum ersten Mal begriffen, daß der König, obwohl noch in der Blüte seiner Kraft, in nicht allzu ferner Zeit ein alter Mann sein würde, dessen Nachfolger gewählt werden müßte: einer der jungen Herren, der stärkste, beste, machtvollste ...
Es galt, Netze zu knüpfen, Freunde zu gewinnen.
Es galt, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
Für das eine waren die Gastmähler gut, für das andere vor allem – der Krieg.
Ein großer Krieg, nicht nur die ständigen Geplänkel, Überfälle und Abwehrkämpfe, die die Wolfskrieger allein bewältigten, sondern ein Krieg wie eine verheerende Feuersbrunst: der die Aufbietung aller Kräfte erforderte, der auch
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