Die Göttin im Stein
nach Luft.
Lykos riß sein Messer vom Gürtel, ritzte sich der Länge nach die Haut des linken Unterarmes auf und ließ das Blut in die Glut der Feuerstelle tropfen. Es zischte.
»So wahr hier mein Blut verbrennt, so wahr schwöre ich: Ich werde Briseias Tod rächen! Wenn nötig, werde ich bis zu meinem letzten Blutstropfen kämpfen, um sie zu rächen. Ich werde ihren Mörder töten.«
»Nur zu, Lykos, nur zu!« Krugor lachte rauh. »Doch für dich allein dürfte die Aufgabe denn doch zu groß sein! Es gilt, alle Männer zu töten, die der Bernsteinbär um sich geschart hat! Und ihn selbst auch! Denn keiner weiß, wer Briseias Tod verschuldet hat.«
»Noch mehr Tote?« fragte Lykos knapp.
Krugor zuckte die Achseln. »Nur die Knechte. Auch der Hof nicht niedergebrannt. Offensichtlich diente das ganze Unternehmen dem Zweck, uns alle zu demütigen und die gefangenen Frauen aus dem Webhaus zu befreien. Was auch geschehen ist.
Diese Schande! Da wird die Ehre unseres Königs in den Schmutz getreten, sein Hof überfallen, das Königsfeuer gelöscht, seine Tochter getötet, und dann verschmähen sie sogar die Beute und nehmen nur ein paar Sklavinnen mit!
Es ist der blanke Hohn!«
Lykos griff nach seinem Waffengürtel und schob die Streitaxt in die Schlaufe. »Wir werden die Ehre unseres Königs wiederherstellen!«
»Das meine ich auch«, bestätigte Krugor. »Jetzt sollen die Enden der Welt die Stärke der Söhne des Himmels erkennen! Vorbei mit dem Geplänkel! Vorbei mit den kleinen Kriegszügen der Wolfskrieger! Wenn das nicht der Anlaß zu einem großen Krieg ist, zu dem ganz großen Krieg, dann weiß ich nicht, was einer sein sollte!«
Lykos streckte Krugor die Hand hin. »Krieg! Bewaffnung der Herren! Aufbietung der großen Streitmacht! Wir sind uns einig, daß wir dafür stimmen. Nur so können wir auf Dauer auch unsere eigenen Höfe schützen. Hairox und Eraiox
390 gewinnen wir auch. Endlich kommt Bewegung in die Sache!«
Krugor nickte. »Nun wird auch der König nicht mehr zaudern, und selbst mein Vater kann nicht mehr zum Abwarten raten!
Rüste dich, Schwager, und nimm Abschied! Morgen abend ist Versammlung am Königshof. Und du wirst schwerlich noch einmal hierher zurückkehren, ehe es in den Krieg geht!«
Lykos lief aus dem Haus, rief Befehle und bestimmte die Pferde, die mitgenommen werden sollten, und die Männer, die ihn zu begleiten hatten.
Moria saß noch immer an die Wand gelehnt, die Hände an ihren Bauch gepreßt.
»Krugor«, keuchte sie, »warum mußte sie sterben, Briseia?«
Krugor verzog den Mund. »Darauf kommt es nicht an. Sie ist tot, und sie muß gerächt werden. Der Anlaß kommt gelegen.«
»Wie meinst du das?«
»Vergiß es! Männergeschäfte!«
Sie schwieg.
Das Bett war schon bereit für sie ...
Sie erhob sich. »Ich muß Lykos' Kleidung richten. Und Verpflegung«, entschuldigte sie sich bei dem Bruder. »Kann ich dir etwas zu essen auftragen lassen?«
Sie ging in den Nebenraum, wies Mägde an und füllte Packtaschen.
Und wenn er nicht wiederkommt?
Still, Moria, still!
Noch vor dem Morgengrauen der Abschied. Eine kurze, feste Umarmung, ein Kuß, letzte Anweisungen: »Chtairus ist in meiner Abwesenheit der Verwalter des Hofes. Er ist verantwortlich für eure Sicherheit. Ich habe ihm eingeschärft, vor
dem Bernsteinbären auf der Hut zu sein und den Hof Nacht für Nacht zu bewachen. Besprich dich mit ihm!
Du leite hier alles, als wäre ich anwesend. Vergiß nicht, daß du mir Rechenschaft schuldest.
Es werden wohl Monde vergehen, vielleicht wird es Winter, ehe ich heimkehre. Ich verlasse mich auf dich, Moria. Und ich wünsche dir eine glückliche Niederkunft. Die Götter seien mit dir und mit unserem Kind!«
Ein Pferd wieherte. In der Gesindehütte schrie das Baby.
Lykos schwang sich auf seinen Hengst. »Ach«, sagte er, »die Amme für meinen Sohn – nun mußt du dich selbst darum kümmern! Du bürgst mir für ihn!«
Er gab das Zeichen zum Aufbruch.
Sie sah Lykos aus dem Hof reiten, sah Krugor und die anderen Männer ihm folgen, und bedeutete dem Knecht, das Tor wieder zu schließen.
Seltsam stumpf und fühllos schleppte sie sich ins Haus zurück, Steingewichte an den Füßen.
Vor dem Bett der Königstochter blieb sie hange stehen. Dann legte sie sich hinein, zog die neue Decke über den Kopf und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Als sie aufwachte, schien ihr die Sonne ins Gesicht.
Sie schreckte auf: Ich habe verschlafen! Die Morgenmahlzeit für
Weitere Kostenlose Bücher