Die Göttin im Stein
teilst vor allen meinen Schmerz. Du mach den Anfang!«
Lykos trat vor, schritt zu der Trage, ließ sich aufs Knie nieder.
Da lag sie, seine Braut – im Tod noch jünger, noch kindlicher als im Leben.
Nur zweimal hatte er sie gesehen, und sie hatte kaum Eindruck auf ihn gemacht.
Doch nun, als er sie anblickte, spürte er den unwiederbringlichen Verlust.
Er hätte sie geliebt. Er hätte sie behütet und geschützt wie einen kleinen Vogel in der hohlen Hand.
Sie hatte nichts von den dunklen Seiten des Lebens gewußt. Ihre Unschuld hätte ihm die seine wiedergegeben.
Er weinte. Und weinend erneuerte er den Schwur, den er bereits mit seinem Blut besiegelt hatte.
Nach ihm schworen alle, zunächst die Herren, dann die Wolfskrieger. Nicht einer, der gezögert hätte.
Kein Neid auf den Nachbarn, Haß auf den Vater, Ärger auf die Frau waren mehr von Bedeutung, keine Liebschaft und keine Leidenschaft, nicht die Ernte, nicht die Herden und nicht die Steigerung des eigenen Ansehens. Mit einem Schlag zurückgetreten, nichtig geworden vor dem einen Großen, das sie alle erfüllte: dem Krieg.
Lykos dehnte die Brust. Jetzt war sie gekommen, die Stunde der Bewährung.
Er hatte den letzten Kriegszug geführt und zu glänzendem Abschluß gebracht.
Freilich – es war nur ein kleiner Raubzug gewesen im Vergleich zu dem großen Krieg, der vor ihnen lag.
Aber war er nicht dem König so wichtig geworden, daß dieser ihn an sich gezogen hatte?
Er war der Bräutigam von Briseia. Was lag näher, als daß er einer der Befehlshaber dieses großen Krieges wurde?!
Schon legte er sich die Worte zurecht, mit denen er den Auftrag übernehmen würde. Ehre und Verpflichtung – meine eigene Rache im Dienst einer viel größeren Sache – zum Ruhme des Himmelsvaters und des heiligen Kriegers – ich gelobe –
»Ich schlage vor, daß wir unsere Streitmacht in zwei Stoßrichtungen teilen«, erklärte der König. »Eine nach Nordwesten und eine nach Südwesten. Die nördliche gedenke ich selber zu führen, wie ich auch den Oberbefehl über die gesamte Streitmacht bei mir behalte. Für die Leitung der südlichen fordere ich eure Vorschläge! Wir brauchen einen Führer, der ein gewaltiger Krieger und mächtiger Herr ist, in seiner Härte und Unerschrockenheit durch nichts zu erschüttern, erfahren in den Listen und Widrigkeiten des Krieges und bewährt in vielen und großen Schlachten.«
Namen flogen hin und her.
Seiner nicht.
Bald blieben die Vorschläge bei dem einen: Eraiox. »Wählen wir Eraiox?« fragte der König.
Tosender Beifall.
Lykos grub die Fingernägel in die Handballen.
Sein Name war nicht einmal gefallen.
Verloren.
»Bleibt noch die dritte Gruppe des Heeres«, fuhr der König fort, »deutlich kleiner als die beiden anderen, aber dennoch von erheblicher Wichtigkeit!«
Lykos horchte auf. Doch noch eine Gelegenheit?
»Ich meine die Führung der Krieger, die hier in der Heimat bleiben und für die Sicherheit unserer Familien wie für die Herrschaft über die Bauern sorgen müssen. Wenige müssen reichen, und diese wenigen müssen Wunder vollbringen!«
»Es gefällt mir nicht, daß du von wenigen sprichst, König!« wandte der Oberpriester Rösos ein. »Ist die Sorge um unsere Familien und unsere Herrschaft nicht der Grund, warum wir diesen Krieg nicht längst begonnen hatten? Waren wir uns nicht darüber im klaren, daß es allzu gefährlich wäre, die Heimat ohne den ausreichenden Schutz einer starken Streitmacht zu lassen? Daß dies den Aufruhr der Bauern herausfordern könnte?
Soll dies nun nicht mehr gelten?!«
»Die Lage hat sich verändert«, erwiderte der König hitzig. »Wir können und dürfen nicht länger warten!«
Rösos nickte. »Wohl wahr! Aber ich fordere, daß ein Drittel der Streitmacht in der Heimat bleibt!«
»Gib mir den Befehl über sie, und ich brauche kein Drittel, mir reicht ein Zehntel!« rief Hairox.
»Ein Zehntel! Ein Zehntel für Hairox!« schrien die Männer.
Lykos biß die Zähne zusammen. Warum war er nicht auf dieses Angebot verfallen!
»Nun gut, ein Zehntel und Hairox als Befehlshaber, wenn ihr es so wollt!« schloß sich der König der allgemeinen Stimmung an. »Das muß reichen. Der Bernsteinbär wird eiligst seine Truppen nach Westen ziehen, wenn er bemerkt, daß wir seine Heimat mit Krieg überziehen, so daß wir zumindest vor seinen Übergriffen hier sicher sein dürften. Und unseren Bauern dürften die Flügel gestutzt sein, da wir ihre Söhne als Geiseln haben. Sie werden
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