Die Göttin im Stein
meine Tochter, wie Cythia und du es für richtig haftet! Und ich – ich danke dir!« Erschöpft schloß sie die Augen und schlief ein.
Diese Hitze. Ihr Körper glühte.
Jemand legte ihr feuchte, kühle Tücher auf.
Jemand nahm ihren Kopf in seinen Schoß.
Jemand sang leise ein Lied in einer fremden Sprache. Nicht fremd. Aus tiefer Vergangenheit vertraut. Großmutter ...
Ihre Haut juckte und brannte.
»Großmutter«, wimmerte sie, »Großmutter!«
»Ist ja gut, Moria, mein Kleines, ist gut!«
Die Großmutter strich kühles Moor auf die von roten Bläschen übersäte Haut. »Gleich wird es besser!«
Nahm Morias Kopf in den Schoß, sang ein Lied, fremd, aber wunderschön. Und so tröstlich.
Die Augen fielen zu.
»Was tust du, Mutter?« Die Stimme des Vaters, empört. »Ich dulde nicht, daß du solche Lieder singst!«
»Ach nein, Rösos? Als du klein warst, da hat es dich immer sehr getröstet, dieses Lied. Da hast du drum gebettelt, daß ich es dir singe.«
»Da wußte ich nicht, was ich tat! Nie hätte ich es gewollt, wenn ich geahnt hätte, daß du damit meinen Vater hintergehst!«
»So, so! Daß ich dir den Hintern kühle, den er dir blutig geschlagen hat, das wolltest du aber schon. Haben wir deinen Vater damit nicht hintergangen, wir beide gemeinsam?«
»Mutter! Vergiß dich nicht!«
»Ich denke nicht daran, mich zu vergessen. Zu vergessen, daß ich es war, die dich geboren und gestillt hat, dich getröstet und gepflegt hat, dir die Nase und alles andere abgewischt hat. Wer denn sonst? Dein Vater vielleicht?«
»Mutter, sag nichts, was dir noch leid tut!«
»Ach, weißt du, in meinem Alter tun einem eher die vielen Dinge leid, die man nicht gesagt hat!«
»Mutter!«
»Still, mein Sohn, still, du weckst mir das kranke Kindchen!«
Großmutter, Großmutter, wo warst du so lang?
Gut, daß du wieder da bist ...
Sie lief durch einen finsteren Wald. Dicht an dicht standen die Bäume. Sie konnte nichts sehen.
Etwas war hinter ihr her.
In der Ferne ein winziges Licht.
Sie rannte, keuchte. Schweiß rann ihr die Stirn herab, biß in ihre Augen.
Das hinter ihr kam näher, näher.
Es war ein schwarzer, riesenhafter Knoten.
Gleich würde er sie packen. Sich um sie schlingen. Sie verschnüren, ersticken, erdrosseln.
Da, das Licht. Sie stürzte darauf zu.
Die Bäume gaben einen Ausgang frei.
Sie rannte auf eine Wiese. Heller Sonnenschein.
Auf einmal war ihre Großmutter da. Hielt ihr eine wunderschöne Stoffpuppe hin.
»Da, mein Kleines, die schenke ich dir! Paß gut auf sie auf!« Sie hielt die Puppe im Arm. Nun konnte ihr nichts mehr geschehen.
Es war keine Puppe. Es war ihr Baby.
Moria öffnete die Augen.
Ihr Baby lag in ihrem Arm, unter der weichen Decke auf ihrer nackten Haut, den kleinen Kopf auf der Höhe ihres Herzens.
Sie legte ihre Hand auf das Köpfchen. Es paßte hinein wie ein Küken in die Schale.
Meine Tochter.
Kurz, wie ein heftiger Stich, die Erinnerung an den kleinen Sohn, an den winzigen, bläulich weißen Leichnam in seinem Totentuch –
Ich hätte einen Sohn gehabt ...
Den Sohn, den Lykos sich gewünscht hat.
»Ria!« sagte sie leise. »Ich werde dich Ria nennen.« Dann blickte sie um sich, sah Naki neben ihrem Lager.
»Wie kommt sie hierher«, fragte Moria, stockte, »warum habe ich meine Tochter im Arm und meinen Kittel so offen?« Sie spürte, wie sie errötete.
»Euer Tochter Euer Herz hört«, erwiderte die Magd. »Ihr schlaft, ich sie auf Brust lege. Sie, weil«, sie kam ins Stottern, »Kind Mutter braucht, Mutter tröstet.
Und Ihr, wenn Fieber kommt, Kind schlimme Träume vertreibt. Soll ich nehmen?«
Moria schüttelte den Kopf. Küßte die kleine Ria.
Rosig, wunderhübsch mit gerundeten Bäckchen, glatter Haut. Sehr zierlich.
Aber nicht zu klein. Nicht zu schwach.
»Naki? Ich habe keine Milch, oder?«
»Nein, Herrin. Ihr zu krank. Ich Milch für beide.«
Sie hat mein Kind gerettet. Sie stillt es. Und sorgt trotzdem dafür, daß es meinen Herzschlag hört.
»Herrin, wie es geht Euch?«
»Es geht. Cythia ist nicht hier?«
»Nein. Aber Sahir Cythia holen. Weil Fieber schlimm.« »Hast du mir vorhin Lieder gesungen?«
»Ja, Herrin. Lied, das böse Geister vertreibt.«
Das Lied meiner Großmutter.
Himmel, diese Naki ist so gut. Und ich –
»Naki, ich muß dir etwas sagen.« Schweißperlen auf der Stirn, der Atem mühsam.
»Nicht, Herrin. Ihr sehr krank. Schlafen!«
»Ich kann nicht schlafen, es drückt mir die Luft ab, ich – ich habe Knoten
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