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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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das tote.
    Der Stein war den kraftlosen Fingern der Herrin entglitten. Sie, Naki, hatte ihn wieder aufgehoben und einstecken wollen, aber der Stein hatte in ihrer Hand zu brennen begonnen und in ihrem Herzschlag zu pochen.
    Da, plötzlich, hatte sie sich an Tante Gwinnes erste Entbindung erinnert, als die Tante beinahe verblutet wäre. Geh, hol Zirrkan, hatte die Mutter gerufen und sie aus dem Raum geschoben, und sie war ins Versammlungshaus gerannt, ein Kind beinahe noch, mitten hinein in die Männerversammlung, die ein Mädchen niemals stören durfte, keinen zusammenhängenden Satz hatte sie herausbekommen, doch Zirrkan hatte sie nur angesehen, war aufgestanden und war ihr gefolgt. Er hatte sich über die Tante gebeugt. Gib mir deinen Stein, hatte er gesagt, und dann hatte er unter kräftigem Druck mit dem heiligen Kiesel der Tante die Lebenslinie des ewigen Wassers auf den Leib gezeichnet, wieder und wieder, und das Lebenslied dazu gesungen.
    All das hatte sie wieder gewußt, als sie den Stein in der Hand gehalten hatte, und da hatte sie das Lied angestimmt und der Herrin die Lebenslinie des ewigen Wassers in endlos kreisenden Wellenbewegungen fest mit dem geheiligten Stein auf den Unterleib geprägt.
    Und der Blutstrom war schwächer geworden und beinahe versiegt wie einstmals bei Tante Gwinne.
    Die Herrin hatte an der Schwelle des Todes verharrt, war in einen langen, fast bewußtlosen Schlaf gesunken und hatte sich dann langsam zu erholen begonnen. Doch am dritten Tag war sie dem furchtbaren Fieber verfallen.
    Die arme Herrin weilte seither im Niemandsland zwischen Leben und Tod. Hielt den Stein umklammert, der nun der ihre war. Und stammelte manchmal im Fieber von
Ihr.
    Die
Große Frau ...
    Die so viele Namen hatte wie Wesenheiten, warum sollte Sie sich nicht auch mit diesem Namen einverstanden erweisen?
    Wenn Naki der Herrin die Hände auflegte, dann war ihr oft, als träfen sich ihre Seelen bei Ihr – in einer dunklen Landschaft irgendwo in einem endlosen Moor.
    Die Herrin stöhnte. Unruhig warf sie sich hin und her, schlug um sich. Naki legte ihr ein feuchtes Tuch auf die Stirn. Diese war glühend heiß. Die Herrin schrie.
    Naki kniete neben ihr. Große Bärin, hilf ihr doch! Wenn Zirrkan da wäre...
    Vielleicht könnte er Moria helfen wie damals Tante Kjolje, könnte die heilende Kraft der
Großen
Bärin an die Todkranke weitergeben.
    Doch Zirrkan war nicht da. Nur sie selbst.
    Beinahe traumwandlerisch stand sie auf, ging zum Wandbord und nahm den hohen Becher, in dem die Herrin gemahlenes Mehl aufzubewahren pflegte. Wie dürftig er war, ohne heilige Zeichen, mit keinem anderen Schmuck als dem Abdruck einer Schnur. Kein Gleichnis für den heiligen Leib der Göttin, für ihre verschwenderische Fruchtbarkeit und Weiblichkeit wie die Töpfe daheim. Und doch war auch er ein Gefäß.
    Das Gefäß.
    Betend faßte sie hinein und hob etwas Mehl heraus –gemahlen aus dem Korn, das Sie den Menschen geschenkt, für das die goldene Jungfrau ihr Leben gegeben hatte –
    Sie blies das Mehl in die vier Himmelsrichtungen. Sie wußte die richtigen Worte nicht, ersetzte sie durch ein immerwährendes Bitten um Hilfe. Dann schob sie die Binsen vor dem Lager der Herrin beiseite und malte mit Mehl die Zeichen auf den festgestampften Lehmboden.
    Suchend blickte sie sich um. Zirrkan verwendete seine Trommel, um die Bärin zu rufen, doch eine Trommel gab es nicht im Lykoshof Sie entschied sich für die Spanschachtel mit den Mohnsamen und benutzte sie wie eine Rassel. Kniete nieder. Ließ sich fallen in das eintönige Geräusch dieser Rassel.
    Und da geschah es . . .
    Die Kraft der Großen Bärin war über sie gekommen. Sie konnte es, das Handauflegen. Auch wenn ihr Zirrkans Unterweisung dabei fehlte.
    Einst hatte sie gerätselt, woher sie es wissen sollte, wenn die Göttin sie berief.
    Als es soweit gewesen war, hatte es keinen Zweifel gegeben.
    Und die Schmerzen, von denen Zirrkan gesprochen hatte?
    Schmerzen hatte sie wahrhaft genug erlitten, eine lange Zeit. Und nicht geahnt, wofür die Göttin sie damit vorbereitete ...
    Wie wunderbar waren doch Ihre Wege.
    »Buttermilch! Für dich!« Noedia war hereingekommen und stellte einen Becher auf die Bank. Dabei warf sie einen mißbilligenden Blick auf Nakis entblößte Brust, an der das kleine Töchterchen der Herrin schlummerte, während Wirrkon inzwischen die Halskette erforschte und der Reihe nach jede Perle in den Mund steckte. Dann drehte Noedia sich um und ging kopfschüttelnd

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