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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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sich weg, band den Gürtel um und legte den Mantel über die Schultern. Als er sie wieder ansah, war ein neuer, nachdenklicher Ausdruck in seinem Gesicht. Er setzte sich neben sie. »Und das alles hast du gehört, zufällig«, sagte er beiläufig.
    Schon wollte sie nicken. Doch etwas in seinem Ton warnte sie. So griff sie nach seiner Hand und gestand: »Ich trage es schon lang mit mir herum. Aber es hat mir immer der Mut gefehlt, es auszusprechen.«
    »So, der Mut hat dir gefehlt. Um so mehr wundert es mich, daß du ihn jetzt hast!«
    Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Ach, Lykos«, sagte sie leise. »An wen sollte ich mich denn wenden, wenn nicht an dich?«
    »Da hast du recht!« stimmte er mit kurzem Lachen zu, wurde aber sofort wieder ernst. »Du grübelst also schon lang darüber nach. Trotzdem ist dir nicht der Gedanke gekommen, daß die Anbetung der Schwarzen Göttin von den Nebenfrauen auf die Gemahlinnen und Töchter der Söhne des Himmels abfärben könnte? Und daß dies der wahre Grund ist, warum kein Herr sie gestattet?«
    Ihr Magen krampfte sich zusammen.
    Damals, als er vom Krieg heimkehrte und sie eben zum ersten Mal die Frühjahrstänze getanzt hatte –
    Sie hatte keinen Zweifel daran, daß es seinerzeit unmöglich gewesen wäre, seine Verzeihung und sein Einverständnis zu erlangen. Er war entschlossen gewesen, die Zügel der Herrschaft, die ihm während des Krieges entglitten waren, wieder fest in die Hand zu nehmen. Genau das hatte er getan, und jeder hatte es zu spüren bekommen, auch sie.
    Aber wenn er sie damals entdeckt hätte, wenn Owros sie damals verraten hätte, dann hätte Lykos' Zorn allein sie getroffen. Und es wäre nur der Zorn über eine einmalige Tat gewesen.
    Doch jetzt würde sein Zorn auch den anderen gelten, und es würde der Zorn über eine jahrzehntelange beispiellose Hintergehung sein.
    Was sie erreichen wollte, mußte so geschehen, daß er nicht argwöhnisch wurde. Und es könnte zu erreichen sein, nun, da er kein junger Mann mehr war, der erst nach dem Königsmantel strebte und täglich seine Befähigung zur Macht unter Beweis stellen mußte, sondern ein König, dessen Macht außer Zweifel stand und dessen Ruhm weit über die Grenzen des Landes hinausreichte. Ein König, der an sein Ende dachte.
    »Da sagst du nichts mehr«, stellte Lykos fest.
    Moria schöpfte tief Atem. Göttin, verlaß mich nicht! »Ich überlege nur gerade – was wäre daran so schlimm, wenn auch ein paar Herrinnen hin und wieder an diesen seltsamen Tänzen teilnähmen?« sagte sie und mühte sich, daß ihre Stimme sie nicht verriet.
    Sie spürte, daß er auffuhr, rasch sprach sie weiter: »Natürlich, wenn sie damit gegen den Willen ihres Gemahls und die Lehre der Priester verstoßen, dann ist das unverzeihlich, das ist mir klar« – o Göttin, steh mir bei, es ist mein eigenes Urteil, das ich da spreche – »aber was wäre so schlimm daran, wenn es erlaubt wäre, wenn der Kult der Schwarzen Göttin den Frauen der Söhne des Himmels nicht mehr verboten wäre, weil er zu unwichtig ist, als daß er den Himmlischen ein Dorn im Auge sein könnte?«
    Nun war es heraus. Sie krallte die Fingernägel in die Handflächen, wartete darauf, daß Lykos losbrach. Er schwieg, und sie konnte sein Schweigen nicht deuten.
    »Es sind doch nur Frauen«, begann sie neu, jetzt endlich fielen ihr die Sätze ein, die sie sich zurechtgelegt hatte, »und nur mit weiblichen Anliegen würden sie sich an die Schwarze Göttin wenden, Sorgen, Bitten und Nöten, über die die Himmlischen weit erhaben sind. Kein Priester würde je dieser Göttin opfern, in nichts würden die Himmlischen geschmälert, kein Sohn des Himmels würde sich zu dieser minderen weiblichen Gottheit hingezogen fühlen oder sie zu seinem Gastmahl einladen, das wär' ja auch lachhaft. Auch den Männern des Alten Volkes würde es wie Schuppen von den Augen fallen, wie bedeutungslos die Schwarze Göttin in Wahrheit ist, wenn ihr Herren – und allen voran du, der König – es nicht einmal für nötig erachten würdet, euren Frauen die Anbetung der Göttin zu verbieten. Die Männer des Alten Volkes würden abfallen von ihr und aufhören ihren heimlichen Widerstand aus ihr zu ziehen. Und die Frauen, Lykos, würden es dir danken, ich meine natürlich die Frauen des Alten Volkes, glücklicher denn je würden sie den Herren Söhne gebären, in den Tränen ihrer Dankbarkeit könntest du baden wie in einem See, kein König wäre je so geliebt wie

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