Die Göttin im Stein
Zustimmung, blickte weiter z den schwarzgekleideten, Waffen tragenden Männern zur Linken des Königs, dem Königsrat, den Herren und Vätern der großen Familien, um dann schließlich bei der abseits lagernden dritten Gruppe zu verharren: den jungen Wolfskriegern in ihren blutroten Mänteln.
»Hört nun, was sich begab, als Trito, der Held, drauf erwachte«, fuhr der Sänger langsam fort, und seine Stimme tropfte in atemloses Schweigen, »als er erkannte den Raub und entdeckte den ruchlosen Frevel!« Wieder hielt der Sänger ein. Und Lykos, gefangengenommen von dem Lied, wurde selbst zu Trito.
Er war es, der aufsprang und einen Schrei ausstieß, daß die Bäume erzitterten und die Berge widerhallten, er war es, der blutige Rache schwor, er war es, dessen Gelübde den göttlichen Krieger gewogen machte, so daß dieser ihm die Spur des Drachen bis zur Höhle zeigte. Er war es, der sich den Hunden, diesen blutrünstigen Bestien, zum Kampf stellte, der sie besiegte mit Streitaxt und Speer, sie erwürgte mit seinen bloßen Händen, der die Tore der Höhle sprengte, das Vieh wieder fand und es herausführte. Und er war es, der sich plötzlich dem dreiköpfigen Drachen gegenübersah, er ganz allein.
»Hilf mir, göttlicher Krieger, ich bitte, eil mir zur Seite,
Götter nur töten den Drachen, nicht menschengeborene Krieger!
So ruft der tapfere Held und erflehet den göttlichen Beistand,
schwört auch, zu opfern sein Vieh zu des göttlichen Kriegertums Ehren,
hoffend, der Himmlische selbst würde Arme und Streitaxt ihm führen.
Siehe, der Himmlische hört ihn, es hört ihn der göttliche Krieger,
fährt in den Helden hinein in der Wut des reißenden Wolfes.
Alsbald erleidet Held eine wundersame Verwandlung: ist nicht mehr länger ein Mensch, ist ein unwiderstehlicher Wolf nun.
Zornfunken sprühet sein Auge und todbringend drohen die Zähne,
sträubt sich sein Fell, dringt Grollen hervor aus der Kehle.
Rasend vor Wut, als Wolf, mit göttlich verzehnfachten Kräften,
springt er der Schlang' an die Kehle, nicht fürchtend des Drachen Gewalten,
achtet gering die Gefahr, ist gegen jede Verletzung gefeiet, wirbelt die Streitaxt im Kampf und zerschmettert den Drachen zu Tode.«
Lykos schloß die Augen und sog tief die Luft ein, stieß sie langsam wieder aus: Ja, das war es. Dieses Lied wußte von dem, was wirklich war.
Und während der Sänger von dem Opfer berichtete, das Trito nach gelungener Tat brachte, gelobte Lykos einmal mehr dem göttlichen Krieger Gefolgschaft.
Wenn der göttliche Krieger ihm so gewogen war wie Trito, so konnte auch er Heldentaten vollbringen, die Unsterblichkeit erlangen würde.
Wenn er eine Braut freite, so sollten ihre Ohren von den Ruhmesliedern klingen, die auf ihn gesungen wurden, und sie sollte beim Nennen seines Namens erröten, zitternd vor Furcht und Verlangen.
Der Sänger beendete sein Lied. Der König dankte ihm mit wohlgesetzten Worten. Dann klatschte Rösos in die Hände. Das Gastmahl konnte beginnen.
Die Frauen und Mädchen, die in gebotener Entfernung am Rande der Festwiese beim Hofzaun gewartet hatten, eilten herbei. Jede trug eine Schale mit Wasser und ein Tuch für die heilige Waschung.
Ein junges Mädchen kam auf die Wolfskrieger zu. Wie alle Jungfrauen trug sie ihr Haar offen, nur durch ein Stirnband gehalten. Der überreiche Kupferschmuck in diesem Stirnband und um ihren Hals ließ keinen Zweifel daran, daß sie eine Tochter des Rösos war.
Schon oft hatten Mädchen wie sie Lykos beim Gastmahl bedient. Doch heute war es anders.
Heute sah er.
Die Sonne glühte einen rotkupfernen Schein auf das braune Haar des Mädchens. Ihre Haut war sanft getönt und makellos, ihr Gesicht ebenmäßig und still.
Sie hielt den Kopf gesenkt, die Augen auf ihre Füße gerichtet.
Die ist es, dachte Lykos. Die soll meine Frau werden. Diese Einheit von Anmut und Zurückhaltung.
Mit ihr kann ich bei jedem Gastmahl Ehre einlegen. Welche Farbe wohl ihre Augen haben?
Ich will sehen, wie sie ihre Augen zu mir aufschlägt. Ich will sehen, wie diese Augen strahlen, wenn ich freundlich zu ihr bin, wie sie voll Bewunderung an mir hängen, wenn ich Anordnungen treffe, wie sie in Glück schwimmen, wenn ich sie in die Arme schließe.
Die Tochter des Rösos. Einen ehrenwerteren und bedeutenderen Schwiegervater kann man sich kaum vorstellen. Hieß es nicht, er habe Aussicht darauf, Oberpriester zu werden?
Mein Ansehen wird hoch steigen, wenn ich seine Tochter zur Frau habe. Lykos,
Weitere Kostenlose Bücher