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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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herab.
    »Ich bring' dir zu trinken!«
    Der Muga nahm ihr den Topf ab, trank, zog sie kurz an sich.
    Sie drückte sich an ihn.
Er
blinzelte ihr zu: »Jetzt laß die anderen trinken! Die haben es nötiger als ich. Die haben die ganze Anstrengung gehabt!«
    »Aber Mutter sagt, auf den Baumeister kommt es am meisten an«, widersprach sie.
    Er grinste: »Na, wenn das deine Mutter sagt!«
    Sie gab den Milchtopf an den Großen Oheim weiter, doch dann kehrte sie zu ihrem Muga zurück. »Erklärst du mir, wie das Grab aussehen wird?« bettelte sie.
    Er strich sich über die Bartstoppeln.
    Sie mochte dieses seltsam kratzende Geräusch.
    »Ein andermal, Naki«, sagte er. »Du mußt mich jetzt den Stein einrichten lassen. Kletter dort auf die Eiche und sieh dir alles von oben an! Dann erkennst du selbst, daß es so etwas
    wie ein riesengroßes Ei ist, was wir hier bauen.«
    Enttäuscht verzog sie sich, blickte zweifelnd den hohen Baum empor.
    Sie versuchte den untersten Ast zu erreichen, sprang, verfehlte ihn, versuchte es immer wieder.
    »So schaffst du das nie!« Oheim Li hob sie in die Höhe, setzte sie auf den Ast. »Paß bloß auf, daß du nicht runterfällst!
    Ritgo bringt mich um, wenn dir was zustößt!«
    »Der Große Oheim bringt niemanden um!« erwiderte sie
    empört.
    Er seufzte. »Natürlich nicht!«
    Sie kletterte einen Ast höher, und noch einen, noch eine Dann sah sie hinunter.
    Überrascht sog sie die Luft ein.
    Dort war die Baustelle. So anders sah von hier oben all aus. Die lange Grabkammer aus den riesigen Findlingen nu den sorgfältig durch kleinere Steine vermauerten Fugen war mit einem Blick zu überschauen. Auf einer Seite führte eine Erdrampe bis zur Höhe der gewaltigen Decksteine. Im Abstand um die Grabkammer hatte der Muga einen schmalen Graben gezogen. Sieben große Steine waren bereits in der Linie des Grabens errichtet, standen dicht an dicht. Daneben war schon die Grube für den nächsten Stein ausgehoben.
    Jetzt konnte sie es erkennen. Wenn alle äußeren Steine standen, würden sie so etwas wie einen langgezogenen Kreis bilden, der die Grabkammer umschloß.
    Und wenn dann der Zwischenraum zwischen äußeren Steinen und Grabkammer mit Erde aufgefüllt und über der Grabkammer der Hügel aufgeschüttet war, würde es tatsächlich aussehen wie ein Ei.
    Sie wiegte sich leicht im Baum, hin und her, hin und her. Ein hünenhaftes Ei.
    Sie wippte. Hin und her, auf und ab.
    Sie schloß die Augen, ließ sich ganz in die sanfte Bewegung gleiten.
    Da sah sie es vor sich, das Ei.
    Gras wuchs auf seiner Wölbung, Blumen blühten. Hell glänzte das steinerne Rund, vollkommen glatt und schön.
    Aber da, ein Sprung bildete sich an der Oberfläche des Eies, wurde breiter, größer.
    Etwas drang daraus hervor, wuchs in die Höhe: ein junger Baum.
    Er wuchs und sprengte das Ei, breitete seine Arme, gedieh zur mächtigen Eiche, erhob sich bis in den Himmel. Eine Schlange kroch aus dem Ei, wand sich den Baum hinauf. Ein Vogel kam geflogen und ließ sich auf einem Zweig nieder.
    Sie öffnete wieder die Augen. Dort unten stand die Mutter mit den Männern neben der Baustelle. Alles war unverändert. lind doch war das Ei dagewesen, der Baum, der Vogel und die Schlange.
    Sie kletterte die Eiche hinunter, sprang auf die Wiese, hob eine Eichel auf. Dann lief sie zum nahen Bach und suchte Kiesel sammelte sie in ihrem Rock, trug sie zum Eichenhain.
    Sie kniete nieder, riß Gras aus, glättete die Erde, versenkte die Eichel darin und begann um die vergrabene Eichel herum rine lange Kammer aus Kieselsteinen zu errichten. Noch einmal mußte sie zum Bach rennen, noch einmal Steine sammeln. Sie deckte Kiesel über die Steinkammer. Nur in der Mitte, über der Eichel, ließ sie sie offen.
    Dann ritzte sie den Umriß des Eies um die Kammer herum in den Boden, grub Kiesel in die vorgezeichnete Linie, füllte Erde dazwischen, drückte sie fest, glättete mit den Fingern ihr Werk.
    »Was hast du denn da gebaut, Naki?« Die Mutter setzte sich neben sie ins Gras.
    »Ein Ei«, erklärte sie.
    Die Mutter nickte. »Da oben fehlt aber noch ein Stein! Und Erde!«
    »Nein, das muß so sein. Weil der Baum aus dem Ei wachsen muß. Weil die Schlange aus dem Ei kriecht. Weil der Vogel im Baum wohnt.«
    »0 Kind!« Die Mutter legte die Arme um sie, zog sie an sich, preßte ihren Kopf an die Brust, drückte sie ganz fest, so fest hatte die Mutter sie noch nie gedrückt, es nahm ihr ja die Luft!
    Sie sträubte sich. »Laß mich!«
    Der Griff der

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