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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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rauhen Lippen: Sand auf dürren Blättern.
    Gnadenlos brannte die Sonne vom Himmel. Hitze flimmerte über dem Getreide. Glühend stand die Luft über dem sengenden Feld.
    Längst waren die Lieder verstummt. Nun versickerten auch die Gespräche, versiegten, wie der Bach versiegt war.
    Seite an Seite kämpften sie sich durch das Feld, alle Frauen und Mädchen des Dorfes. Ein Bündel Ähren mit der Linken zusammenraffen, mit der Sichel abschneiden, in den Korb werfen, weiter.
    Gewöhnlich war die Ernte ein Fest, Höhepunkt des Jahres. hoch heute war es nichts als eine Schinderei: jede Bewegung eine schier unerträgliche Last. Selbst die Ältesten konnten sich nicht an eine vergleichbare Hitze erinnern.
    Trocken klebte die Zunge am Gaumen, der Durst brannte in der Kehle.
    Die kleine Naki sammelte mit der kleinen Uori, Mulais Tochter abgefallene Ähren in einen Korb. Ihr Gesicht war hochrot. »Geh, Naki, lauf zum Brunnen, schöpf Wasser, trink und kühl dich! Und du auch, Uori!« Dankbar sahen die beiden Mädchen sie an, stellten den Korb ab, wandten sich erleichtert zum Gehen. Mulai richtete sich auf.
    »Aber dann kommt ihr zurück und bringt zwei Ledereimer Wasser mit!« rief sie den Mädchen nach.
    Haibe strich sich den Schweiß von der heißen Stirn, reckte sich kurz. Da sah sie gegen die Sonne den Mann über den abgeernteten Acker auf sie zukommen. Die schlanke, schmale Gestalt.
    Er kann es nicht sein. Nicht nach acht Jahren.
    Sie starrte ihm entgegen. Ließ die Sichel sinken. Warf sie in den Korb. Setzte sich in Bewegung. Ihm entgegen.
    Dann stand sie vor ihm. Wußte, er war es. Und erkannte ihn kaum.
    Sein Gesicht war furchtbar verändert. Eingefallene Wangen. Tiefe Linien um seinen Mund. Und ein Ausdruck in den Augen –
    »Tot«, sagte er leise. »Sie sind alle tot. Meine Vettern, mein Oheim, meine Freunde. Die Kinder meiner Frau, die Kinder meiner Schwester, alle Kinder. Tot. Alle tot.«
    Sie konnte nicht sprechen. Wortlos streckte sie die Hä de nach ihm aus, wortlos umfaßte sie sein Gesicht, wo los zog sie seinen Kopf zu sich heran, barg ihn an ihrer Schulter.
    Er weinte. Sie streichelte sein Haar, hielt ihn umfang wiegte ihn wie ein Kind.
    »Die Wölfe«, flüsterte er heiser, »es waren die Wölfe.«
    Haibe zog Arme und Beine an und rollte sich zusammen ein ungeborenes Kind, barg sich zitternd in sich selbst. Sie war so schwach, daß ihr jeder Atemzug zu schwer erschien.
    Ich überstehe es nicht, dachte sie. O Göttin, es war alle umsonst. Meine Kraft reicht nicht für den vierten Tag. Sie reicht ja nicht einmal für die dritte Nacht.
    Ach, Zirrkan...
    Sie glitt hinweg in einen ohnmächtigen Schlaf.
    Ein Sandsturm blies ihr ins Gesicht. Heiße Sandkörner bissen in ihre Haut, brannten in ihren Augen, glühten in ihrem Mund.
    Sie lief, stemmte sich gegen den Sturm. Dort vorn war die Mutter. Sie mußte zu ihr.
    Die Mutter schrie etwas. Sie konnte es nicht verstehen. Der Sturm heulte.
    Die Mutter gab ihr Zeichen mit Armen und Händen. Was wollte sie ihr sagen?
    Sie rannte der Mutter entgegen durch glimmenden Sand.
    Da plötzlich gab der Boden unter ihr nach. Ihre Füße staken fest, sanken ein. Entsetzt sah sie nach unten: Treibsand. Sie sank tiefer. Bis zu den Hüften. Bis zur Brust. Sie schlug und ruderte mit den Armen. Sie wurde weiter gezogen. Glut hielt sie gefangen.
    Die Sandberge, dachte sie, die Sandberge fließen nach Westen. Sie reißen mich mit.
    Das Gesicht der Mutter über ihr, unendlich traurig. »Warum hast du mich nicht gehört?« fragte die Mutter. »Warum hast du meine Zeichen nicht verstanden?«
    Mutter, hilf mir!« schrie sie. »Zieh mich raus!«
    Das Gesicht der Mutter sehr fern. »Aber ich hab' keine Hände!«
    Sie rannte über rotglühende Kohle. Die Hitze flammte an Ihrem Körper empor.
    Dann sah sie die sonnenbeschienene Wiese. In deren Mitte einen großen Stein. Auf dem Stein eine Schlange.
    Plötzlich war da ein Stier. Die Schlange glitt von dem Stein, glitt auf den Stier zu, richtete sich auf, ihm entgegen. Der Stier senkte seine Hörner, stürmte auf die Schlange zu. Und er zertrat sie unter seinen Hufen.
    Nein! wollte sie schreien, das ist nicht möglich! Nie würde ein Stier die Schlange zertreten!
    Aber da lag sie, die Schlange – tödlich verletzt.
    Der Himmel wurde schwarz, und Blitze zuckten herab, die Welt hallte wider von Donnergetöse, und die Erde bebte von Pferdehufen.
    Und Wölfe drangen aus dem Wald hervor, und Blut troff von ihren Lefzen.
    Mit rauhem Schrei fuhr

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