Die Göttin im Stein
ich Bauer war, gibt es nicht mehr.
Seit Menschengedenken haben wir in Frieden gelebt nach den Regeln unserer Ahnen und der heiligen Ordnung der Urfrauen und dem ewigen Willen der Großen Göttin. Und wie es war, war es gut, und es wäre so geblieben für alle Zeit. Aber nun sind sie gekommen, die Söhne des Himmels, und nichts ist mehr, wie es war! Und es wird auch nie wieder so sein, wie es war, wenn wir nicht mit dem Einsatz unseres Lebens darum ringen. Wenn wir die heilige Ordnung retten wollen, so müssen wir mit Fäusten und Beilen, mit Pfeilen und Speeren für sie kämpfen!«
»Indem du für sie kämpfst, verrätst du sie«, ging Zirrkan dazwischen. »Du zerstörst, was du zu retten glaubst! Begreifst du nicht, Ritgo: Wenn du mit der Keule auf eine Raupe schlägst, die eine zarte Pflanze auffrißt, so tötest du beide – die Raupe und die Pflanze!
Die heilige Ordnung bleibt dann unversehrt, wenn wir nach ihr leben. Hören wir damit auf, so hört sie auf zu sein! Wo soll sie sein, wenn nicht in uns?
Wenn du ein Krieger wirst, so wirst du nicht nur kämpfen und töten wie ein Krieger – du wirst denken und fühlen wie ein Krieger, und nie mehr wirst du Knaben erziehen können in der heiligen Ordnung. Du wirst die heilige Ordnung in den Untergang ziehen, so wie du jeden in den Untergang ziehen wirst, der wie du den Rat der Priesterinnen mißachtet und sich dir anschließt!«
»Ich ziehe niemanden in den Untergang!« schrie Ritgo. »Ich nicht! Die Söhne des Himmels sind es, die es tun, sie sind es, die uns vernichten! Und wen sie am Leib leben lassen, den zerstören sie an der Seele! Aus aufrechten Menschen machen sie Hunde, die den Schwanz zwischen die Beine klemmen und den Fuß lecken, der sie tritt! Und das lasse ich nicht länger zu!
Fliehen du willst, Zirrkan, flieh und bau die neue Heimat auf, die deine Mutter gesehen und die du gefunden hast! Flieh und nimm alle mit, deren Furcht größer ist als ihr Mut! Aber die anderen laß mir!
Denn ohne uns, die wir uns den Wölfen in den Weg stellen werden, wird es bald keinen Ort auf dem Erdkreis mehr geben, der sicher ist vor den Söhnen des Himmels, auch nicht im Nordosten jenseits des Meeres, auch nicht in dem Land, das der alten Priesterin in ihrem Gesicht offenbart wurde! Wie ein Brand in trockener Heide werden die Söhne des Himmels sich ausbreiten, und diesen Brand gilt es zu löschen, ehe es zu spät ist!
Flieh, Zirrkan, und rette, wen du retten kannst! Nehmt die heilige Ordnung in euren Herzen mit, das Saatgut für eine friedvolle Zukunft, und sät sie in die Herzen der Kinder.
Ja, ich gebe zu, ich wollte, meine Neffen und Nichten wären bei dir, würden von dir gerettet, könnten in der neuen Heimat leben nach der heiligen Ordnung! Ich will nicht länger streiten mit dir.
Was du tust, ist gut und richtig auf seine Art.
Aber vergiß nicht, daß du es nur tun kannst, weil es Männer gibt wie mich und wie die, die ich um mich gesammelt habe und weiter um mich sammeln werde, Männer und vielleicht bald auch Frauen, die euch den Rücken freihalten werden für eure Flucht!
Die eure neue Heimat vor den Söhnen des Himmels schützen werden!
Die die Söhne des Himmels aufhalten und für eure Sicherheit und für den Fortbestand der heiligen Ordnung ihr Leben lassen werden!
Die es auf sich nehmen, den Rat der Priesterinnen zu mißachten, damit ihr ihn erfüllen könnt, die es auf sich nehmen, der heiligen Ordnung entgegenzuhandeln, damit ihr sie bewahren könnt!«
Er brach ab.
Haibe griff sich an den Hals. Wo war sie gewesen, all die Zeit, daß sie nichts von dem erkannt hatte, was mit Ritgo geschehen war?
Zirrkan, sehr blaß, reichte Ritgo stumm die Hand.
»Haibe«, sagte er dann leise, seine Stimme versprach ihr Sicherheit und Frieden – bei ihm bleiben können, auf ewig ungetrennt –, »ich warte auf deine Antwort! Kommst du mit mir in die neue Heimat? Willst du mit mir die heilige Ordnung bewahren, damit sie nicht untergeht?«
Nichts lieber als das, Geliebter. Ich täte nichts lieber als das.
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, Zirrkan. Ich kann nicht mit dir kommen.«
»Ich wußte es!« rief Ritgo. »Du bist meine Schwester! Du läßt mich nicht im Stich! Du wirst mit mir den schweren Kampf kämpfen gegen die Söhne des Himmels, auch wenn die Priesterinnen zur Flucht mahnen! Und wenn du die erste Frau bist, die mit uns kämpft, so werden bald auch weitere Frauen an unserer Seite stehen!«
Sie sah ihn an. Fremd, Bruder, warum bist
Weitere Kostenlose Bücher