Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
Vom Netzwerk:
ich es gesucht. Ich habe es gefunden, und es ist alles so, wie meine Mutter es gesehen hat.
    Die Priesterinnen haben darüber beraten und sind zu dem einhelligen Schluß gekommen, daß wir uns möglichst rasch auf den Weg machen und dorthin ziehen sollten.
    Es ist das Land, in dem wir in Sicherheit vor den Söhnen des Himmels leben werden.«
    Große Bärin, Hirschkuh, heilige Schlange, ich habe vergessen, an deine Macht zu glauben. Wie sehr beschämst du mich.
    Eine Bleibe für alle.
    Eines Tages vielleicht auch für mich und für Naki, für Gwinne und Mulai, für Songo und alle anderen?
    Erzähl weiter, Geliebter, laß mich träumen. Es wäre so schön.
    »Das Land ist groß genug. Es wohnen nicht sehr viele Menschen dort. Aber die dort wohnen, sind uns verwandt, sind Kinder der Göttin wie wir.«
    »Wie wir?«
    Er nickte. »Ja. Sie beten die Göttin an wie wir, sie rufen sie an mit ähnlichen Zeichen, sie bauen Gräber ähnlich wie wir, in vielem leben sie ähnlich wie wir. Allerdings sprechen sie eine andere Sprache, und anfangs war es schwer, mich mit ihnen zu verständigen. Die Sippenmütter haben mich gastfreundlich aufgenommen, keine Spur von Feindseligkeit, aber doch eine große Zurückhaltung und eine Ferne, als sei ich auf der einen Seite eines Flusses und sie auf der anderen.
    Doch mit der Zeit konnte ich ihr Vertrauen gewinnen. Es begann, als ich einen kleinen Jungen heilen konnte, der sehr krank war. Sie brachten mehr und mehr Kranke zu mir, holten mich in ihre Häuser. Und als ich einen Sippenältesten von der Lähmung seiner Beine befreien konnte, hatte ich einen einflußreichen Freund.
    Ich habe ihre Sprache einigermaßen gelernt. Genug, um mit ihnen eine Vereinbarung zu treffen. Mit der Hilfe meines Freundes habe ich mit den Sippenältesten vieler Dörfer sprechen können. Sie nehmen uns auf, überlassen uns ein großes Waldgebiet, das wir für unsere Felder roden und wo wir unsere Dörfer errichten können.«
    »Und wenn die Häuser stehen und die Felder Frucht tragen und die Fremde uns zur Heimat geworden ist, dann kommen die Wölfe und brennen alles nieder!« sagte hinter ihnen eine Stimme.
    Ritgo.
    Haibe löste sich von Zirrkan, drehte sich um.
    Seit langem zum ersten Mal sah sie ihren Bruder an, sah ihn wirklich, sah die harten Linien, die sich in sein Gesicht eingegraben hatten, die seine Brauen zusammenzogen und seinen Mund fest verschlossen, seine Augen unnachgiebig verengten – Linien, die früher nicht dagewesen waren.
    »Warum redest du so?« fragte sie leise.
    »Weil es die Wahrheit ist«, erwiderte er harsch, doch dann trat er zu ihr, nahm ihr Gesicht in beide Hände, einen Augenblick war er wieder der alte. »Der Großen Göttin sei Dank, die Dämonen haben dich verlassen, du bist wieder du selbst, meine Schwester«, sagte er warm.
    »Ja, der Großen Göttin sei Dank. Und Zirrkan, der mich geheilt hat!«
    »Ach ja?« Ritgo ließ sie los, trat einen Schritt zurück –fremd, er ist mir so fremd. »Der dich geheilt hat nur zu dem einen Zweck: dich zu überreden, mich im Stich zu lassen?!«
    Sie starrte ihn an.
    »Dich im Stich lassen?« wiederholte Zirrkan, auch in seiner Stimme schwang plötzlich ein gereizter Ton. »Warum machst du schlecht, was ein Gesicht der alten Priesterin ist? Der Rat der Priesterinnen hat sich für die Flucht ausgesprochen. Bedeutet dir das nichts? Haben uns die Priesterinnen nicht von alters her mit Weisheit geführt, uns den Willen der Göttin aus dem Lauf der Gestirne verkündet und zu unserem Wohl uns beigestanden, ihn zu erfüllen?«
    »Aber auch sie konnten nicht verhindern, daß unsere Familien von den Wolfskriegern abgeschlachtet wurden wie Schafe«, sagte Ritgo bitter.
    »Nein, das konnten sie nicht«, stimmte Zirrkan bedrückt zu. »Aber nun haben die Priesterinnen mich beauftragt, alle Menschen, die dazu bereit sind, sich in die Fremde zu wagen, in Sicherheit zu bringen. Hier sind wir es jedenfalls nicht, jederzeit können sie wiederkommen, die Wölfe, und du hast selbst gesagt: Wen sie nicht töten, den zwingen sie unter ihr Joch, und das ist furchtbarer als der Tod! Bist nicht du es, der, wie ich hörte, seit Monden Erkundigungen einzieht darüber, wie es jenen Bauern im Osten geht, die mit uns verwandt sind, die die gleiche Sprache sprechen wie wir und den gleichen Glauben haben wie wir und die unterworfen wurden von den Söhnen des Himmels?«
    »In der Tat, der bin ich!« erwiderte Ritgo hitzig. »Sie müssen den Herren so viele Feldfrüchte

Weitere Kostenlose Bücher