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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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und schloß die Augen.
    Er rief die Große Bärin herbei. Dann kniete er hinter ihr. Seine Hände waren kühl und leicht, berührten sie kaum, legten sich wie Federflaum auf ihre Schläfen.
    Ruhe kam über sie. Bilder zogen an ihr vorbei, Gedanken blitzten auf und verschwanden wieder, reichten einander die Hand wie beim Tanz. Und auch die qualvollsten Erinnerungen brachten nur stille Trauer, kein Entsetzen, keine Angst.
    Die Fingerspitzen an ihren Schläfen – längst war es nicht mehr Zirrkan, der sie berührte, längst war es etwas viel Größeres – kreisten sanft, nahmen die Schwingungen ihres Wesens auf, brachten sie klarer und klarer hervor.
    Ihr Schädel weitete sich, sie spürte, wie die Knochen auseinanderwichen, ihrer Seele den Weg öffneten. Sie schwebte, schwerelos und leicht, stieg höher, das Dach des Schuppens hinderte sie nicht, sie stieg auf in den Äther.
    Am Himmel war sie, kein Morgengrauen mehr, tiefe, strahlende Nacht. Zwischen den Sternen zog sie die ewige Bahn, Stern unter Sternen, ruhig und gelöst. Dann umtanzte sie schwebend den Mond. Im Kreisen der Fingerspitzen, im Kreisen ihres Seins kreiste sie um sein milde glänzendes Rund.
    Die Hände lösten sich von ihren Schläfen, nahmen ihren Kopf zwischen sich, behutsam drückten sie in die Spannung ihres Nackens. Schmerz – stark und doch heilsam – durchflutete ihren Körper und ebbte ab.
    Sie ließ sich sinken in diese Hände, tiefer, die Erde tat sich auf unter ihr, dunkel und warm wurde es um sie, der Schoß der Mutter umfing sie, barg sie, der Herzschlag der Mutter pochte in ihrem Blut.
    Und noch weiter sank sie, sank durch die Tiefe der Erde hindurch in die Bodenlosigkeit des Meeres, in den Ursprung der Welt.
    Und Hände, die das All umfaßten, umfaßten auch sie. Alles wurde von ihr genommen, die Qual des Körpers und der Seele, nur eines gelassen: ein tiefer Frieden.
    Ewigkeiten verrannen in jedem Atemzug.
    Behutsam wurde ihr Kopf ins Laub gebettet. Sie war zurückgekehrt und träumte dem Wunder nach.
    Sacht legte Zirrkan seine Hand in ihre Seite. Wärme durchströmte ihren Körper, und dann auf einmal, ungeahnt, längst vergessen, das Gefühl von Kraft.
    Als Zirrkan seine Hände von ihr löste, hatte ein neues Leben begonnen.
    Sie richtete sich auf, ungläubig fuhr sie sich über die Stirn.
    Sie wollte ihm sagen, was ihr widerfahren war, und doch hielt etwas sie davon ab, das Unaussprechliche in Worte zu schmälern. »Deine Hände ...«, sagte sie nur leise und scheu, »ich kann nicht fassen, was sie vermögen!«
    Er stand auf. »Die Göttin hat sie mir gegeben«, erwiderte er beinahe abwehrend, »und der alte Heiler hat mich eingeweiht, sie zu gebrauchen!«
    Eine Weile standen sie stumm, beinahe befangen. Dann legte er die Arme um sie. »Kommst du mit mir?« fragte er leise. »Du und ich, wir beide, für immer eins? So, wie wir davon geträumt haben, ein Traum, der nicht in Erfüllung gehen durfte, nun darf er es. Sag ja, sag, daß du mit mir kommst!«
    »Wohin?« fragte sie, nur ein Traum, laß ihn mich ein wenig weiterträumen, Vogelgöttin mit den wissenden Augen.
    Er hielt sie noch immer, sprach in ihr Haar hinein: »Weit nach Nordosten, über das Meer, in ein Land, das ich dir zeigen werde, dir und allen, die mit uns kommen wollen. Es ist ein Land der hellen Sommer und dunklen Winter, der endlosen Wälder und zahlreichen Seen, ein Land, groß genug, uns alle aufzunehmen, die hier noch leben im weiten Umkreis unserer Heiligen Steine.«
    Du und ich und alle, die mit uns kommen wollen. Und wir beide auf immer ungetrennt, in einem Dorf vereint, du jede Nacht in meinem Haus – was für ein schöner Traum ...
    »Ich bin schon im letzten Jahr auf die Suche nach der neuen Heimat aufgebrochen«, fuhr er fort. »Meine Mutter hatte drohende Gefahr in den Sternen gelesen, doch konnte sie weder Einzelheiten erkennen noch den Zeitpunkt der Gefahr. Aber immer wieder hatte sie in Geschichten ein Land erblickt und gespürt, daß dies unsere neue Heimat sein würde, ein fernes Land über dem Meer, ein Land mit hellen Sommern und dunklen Wintern, mit vielen Seen und endlosen Wäldern.
    Sie hat mir die Hinweise anvertraut, die ihr offenbart waren, damit ich das gesehene Land finden könnte. Sie hat mich ausgesandt und mir verboten, zu irgend jemandem hier davon zu sprechen, denn sie wollte euch allen die Warnung der Sterne und den Rat der Gesichte erst dann eröffnen, wenn ich von dem Land berichten könnte, das sie gesehen hatte.
    Darum habe

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