Die Göttin im Stein
spicken und in der geschlossenen Erdgrube über stetiger Glut sachte schmoren. Ein Festessen, mit dem sie ihren Ruf als Hausfrau begründen könnte.
Natürlich kam es nicht in Frage, Lykos vorzuschlagen, Gäste einzuladen. Auch der Vater hätte niemals zugelassen, daß die Mutter den Zeitpunkt für Gastmähler bestimmte, Männer seien nun einmal in allem die Herren, sagte die Mutter, und man tue gut daran, sich danach zu richten. Was nicht heiße, daß man sie nicht beeinflussen könne, wenn man es geschickt anfange. Nur merken dürften sie es auf keinen Fall.
Also sprach Moria von dem Hirsch, was für ein prächtiges Tier er sei, wie hervorragend er schmecken würde, zu schade für die Dienerschaft, ein Ereignis für jeden verwöhnten Gaumen. Endlich, endlich befahl ihr Lykos, den Hirsch für ein Gastmahl am dritten Tag vorzubereiten, er werde Freunde einladen.
Sie erzählte im Vertrauen Sahir von ihrem Erfolg und begann mit den Vorbereitungen. Doch dann brachte Lykos die Gäste einen Tag zu früh mit, ohne jede Vorankündigung. Zu allem Überfluß waren es auch noch besonders ehrenwerte Gäste: mehrere Herren des Königsrates und sogar ein Priester!
Lykos nahm sie beiseite. »Moria, ich habe die Freunde zum Hirsch braten gebeten. Dieses Gastmahl ist sehr wichtig für mich. Sieh zu, daß es gelingt und die Zunge der Herren löst!«
Sie war den Tränen nahe. Ihren Ruf hatte sie mit einem sorgfältigst vorbereiteten Essen begründen wollen, und nun das!
Ihre Gedanken flogen. Gut, sie konnte den Hirsch auch einen Tag früher braten, aber das brauchte Zeit, viel Zeit.
Nur um Haaresbreite war sie davon entfernt, die Fassung zu verlieren und Lykos weinend zu gestehen, daß er Unmögliches von ihr verlangte. Dann fielen ihr die Lehren der Mutter ein. Zum Glück hatte sie für das geplante Fest bereits Stutenmilch in Unmengen vergoren.
Sie zwang sich zu einem strahlenden Lächeln und einem verschwörerischen Blick. »Nichts löst die Zungen besser und macht die Gäste erwartungsvoller gestimmt als ein starkes Getränk auf halbleeren Magen«, erklärte sie. »Wenn es dir recht ist, zögere ich das Mahl eigens etwas hinaus und schenke kräftig vergorene Stutenmilch aus, zu der ich stark gesalzenen Fisch reiche, das steigert den Durst! Du sollst sehen, wie heiter die Herren dann werden! Wünschst du es so?«
Er lachte. »Nur zu! Aber mir verdünne die Milch, ohne daß jemand es merkt!«
Sie zog ihr Brautkleid an und ließ sich von Noedia die Haare mit kupfernen Röllchen schmücken, die über aufgesteckte Haarsträhnen gezogen wurden. So geschmückt, bot sie unermüdlich den Salzfisch auf kleinen Brotstücken mit saurer Sahne an und schenkte noch unermüdlicher das Rauschgetränk aus, während ihre Gedanken um den Braten kreisten, der unter Sahirs Aufsicht schmorte.
Endlich war es soweit. Das Fleisch war zart, würzig und mürbe, wie es besser nicht sein konnte, und die Soße aus Steinpilzen, Fleischbrühe, Preiselbeeren und saurer Sahne gelang ihr wie nie.
Sie reichte den Herren zum wiederholten Mal die Platte mit dem Fleisch. Es war eine Freude, zu sehen, wie es ihnen schmeckte.
»Hier, hochehrenwerter Herr«, sagte Lykos zu Daios, dem Priester, »darf ich Euch noch von dem Braten geben, wie Ihr wißt, habe ich den Hirsch selbst geschossen, ein schönes Tier war es, stattlich und doch nicht zu alt, es ist gut, nicht wahr?«
»Hervorragend«, bestätigte Daios mit Genuß. Seine Zunge ging schon etwas schwer. »Ich kann nicht sagen, je besseren Hirsch gegessen zu haben! Diese Zubereitung! Köstlich. Was für ein Segen für dich, Lykos, daß du die Tochter von Rösos nach Hause führen konntest! Dein Haus ist wirklich gut bestellt, eine Freude für jeden Gast und eine Ehre für die Himmlischen!«
Sie hielt den Kopf gesenkt, spürte die Röte in den Wangen, nicht aufsehen, nicht zeigen, wie sehr man sich freut, nicht den eben gewonnenen Ruf aufs Spiel setzen!
Draußen dann, im Nebenraum, lachte sie, mußte plötzlich Sahir in den Arm nehmen, Sahir an sich drücken.
Spät in der Nacht, als die Gäste sich volltrunken zur Ruhe begeben hatten, zog Lykos sie an sich und küßte ihre Hände. »Moria, ich danke dir! Du bist eine gute Hausherrin! Und du bist eine Gastgeberin, wie du besser nicht sein könntest«, sagte er. »Wie recht du damit hattest, den Braten erst so spät anzubieten! Dieser Abend war außerordentlich wichtig für mich. Die bedeutendsten Gäste, die ich bisher hatte. Und durch dich konnte ich alle
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