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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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es mit übernatürlich geschärftem Gehör, lauschte auf jeden Laut, auf jeden ihrer Atemzüge, suchte ihr die Gedanken abzulauschen.
    Die Marder, die an den Hinterbeinen gefesselt vom Dachbalken herabhingen, wisperten einander zu: Seht ihr, was sie denkt? Hört ihr, was sie fühlt? Wenn sie aufhört zu spinnen, wenn sie aufhört zu spinnen – merkt es euch, merkt es euch, sagt es ihm, ihm, ihm!
    Weh, wenn sie tanzt, weh, wenn sie betet, weh, wenn sie die Zeichen macht, weh, weh, weh!
    Das Kind! höhnten die in der Wolle hausenden Geister. Die kleine Kori! lachten die Besen. Mit ihrem Gürtel! schrillten die Marder.
    Naki preßte die Augen zu. Die Ohren konnte sie nicht verschließen. Sie mußte spinnen, spinnen. Der Faden durfte nicht abreißen, die Spindel nicht zum Stillstand kommen.
    Solang die Spindel sich drehte, war sie geschützt. Solang die Spindel sich drehte, war Kori in Sicherheit. Solang die Spindel sich drehte, konnten die Augen in der Wolle und die Ohren in den Besen nicht ihre innersten Gedanken und Gefühle erreichen.
    Nicht rühren an diese Grenze in ihr, hinter der die Gebete verborgen waren. Nicht denken an das geheime Heiligtum, in dem die Große Bärin und die Hirschkuh wohnten, die trächtige Muttersau und die heilige Schlange, die Vogelfrau und die Eule. Nichts verraten.
    Vor und zurück wippte Naki beim Spinnen. Sie durfte nicht einschlafen. Wenn sie einschlief, war sie denen ausgeliefert. Wenn sie einschlief, war Kori verloren.
    Sie war so jung, so zart, die kleine Kori. Noch solch eine Züchtigung konnte sie nicht überstehen.
    Habt ihr gehört, was sie denkt? flüsterten die Marder. Noch nicht, noch nicht, murmelten die Geister in den Reisigbesen enttäuscht. Wenn sie endlich aufhören würde zu spinnen! empörten sich die aus der Wolle.
    Rot kreischte die Tür, ging auf: Der Pferdmensch.
    Nakis Finger flogen. Rasend drehte sich die Spindel im Kreis. Mit dem Hinterkopf schlug Naki an die Holzwand. Rums, rums, rums. Dieser Lärm! Wir können nichts hören! wüteten die Geister in den Besen. Nichts sehen! heulten die in der Wolle.
    Rums, rums, rums.
    »Was ist in sie gefahren?! Was macht sie da?!« Eine Stimme, seine Stimme, empört, voll Entsetzen und Abscheu. Hufpferd, Kosly, Lewol, Senbe, Riko, Nenspin, Nenspin, Nenspin –
    »Sie ist völlig von Sinnen, Herr. Sie ist nicht mehr sie selbst, sie kann nicht anders. Keinen Augenblick schläft sie mehr. Spinnen, spinnen, Tag und Nacht, Nacht und Tag. Sie ist von Dämonen besessen, das ist es.«
    Er gab einen entsetzten Laut von sich. »Dämonen?! Und ihr könnt nichts dagegen tun?!«
    »Herr, wir haben schon die Priesterin und den Heiler geholt, aber niemand kann ihr helfen, es ist furchtbar, grauenerregend, wir wissen nicht, was in ihr vorgeht, wir wissen nur: Gräßliche Dämonen halten sie besetzt! Jeder, der sich ihr nähert, bekommt sie zu spüren.«
    Dämonen? Daire, Daire, was redest du da, es sind keine Dämonen, es sind die Marder und die Geister, Redramretseig –
    Aber sie wissen nichts, ich lass' sie nichts sehen, nichts hören, ich bin schlau, schlauer als sie, ich spinne, spinne –
    Der Pferdmensch schreit. Unverständliche Worte. Nimmt einen Besen. Bricht den Besenstiel über dem Knie entzwei. Wirft ihn ihr zu Füßen. Dreht sich um. Stürmt aus dem Haus.
    Rot kreischt die Tür. Schwarz schlägt zu. Rums.
    Der Besen gellt. Flammend orange.
    Ein Becher an ihren Lippen. Sie öffnete den Mund, trank. Warm rann es die ausgedorrte Kehle hinunter.
    Sie war daheim. Sie war krank, und die Mutter gab ihr zu trinken. Die Mutter hielt sie. Mit geschlossenen Augen ließ sie sich tiefer in die Arme der Mutter sinken.
    »Naki? Hörst du mich? Kannst du mich sehen?«
    Sie öffnete die Augen. Verständnislos blickte sie sich um. Nicht die Mutter. Lele.
    Langsam kam die Erinnerung zurück. Sie war bei Daire. Und–Lykos-
    Schlagartig richtete sie sich auf. »Lele?« fragte sie heiser. »Ist er – ist er – weg?«
    Lele strich ihr die Haare aus der Stirn, nahm sie wieder in die Arme, wiegte sie. »Ja, Naki, er ist weg. Schon lange. Für immer, hörst du?! Er kommt nicht wieder. Es ist vorbei, Naki. Vorbei.
    Du mußt dich nicht mehr vor ihm fürchten!
    Wir alle müssen uns nicht mehr vor ihm fürchten!«
    Naki schüttelte die Umarmung ab. »Wie meinst du das, vorbei?«
    »Trink noch mehr Bier, Naki, ja, so ist es gut, trink alles aus! Ich bin so glücklich, so glücklich!« Lele weinte.
    »Warum weinst du dann?«
    Lele wischte sich die

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