Die Göttin im Stein
dennoch, sie, sie, sie! Vom Hof hatte er die andere verbannt, ehe sie selbst als seine Frau eingezogen war, ein Feingefühl, das selten ein Eheherr aufbrachte!
Freundlich war er zu ihr. Nie tadelte er sie ohne Grund. Nie strafte er sie. Nie war er so roh zu ihr wie Krugor zu Agala.
Er nahm sie nicht gewaltsam, er nahm sie nicht Nacht für Nacht. Rücksichtsvoll ließ er sie schlafen, wenn er spät nach Hause kam, legte sich leise neben sie, ohne sie zu wecken ...
Weil er sie nicht liebte. Weil es die andere war, zu der es ihn trieb.
Weil es die andere war, von der er kam in der Nacht. Bestimmt war es so, daß die andere seine Sinne erregen konnte, seine Leidenschaft entfachen – und erwidern.
Diese Sinnlichkeit, die man den Frauen vom Alten Volk nachsagte ...
Und sie selbst?
Sie konnte nichts, als seine Zärtlichkeiten und die Vereinigung still und gefügig hinzunehmen. Und nichts anderes empfinden als Erleichterung, wenn es vorbei war.
Es mußte da mehr geben.
In vielen dunklen Nächten hatte sie es daheim in kaum hörbar geflüsterten Worten, in Seufzern und heißem Atmen, in unterdrückten kleinen Schreien und in der prickelnden Spannung des finsteren Raumes gehört und gespürt – nicht zwischen dem Vater und der Mutter, aber zwischen dem Vater und seiner liebsten Nebenfrau, hatte mit Herzklopfen dagelegen und gelauscht, bis es ruhig wurde zwischen den beiden ...
Nichts davon zwischen Lykos und ihr.
War sie Lykos zu langweilig – zu fühllos?
Trieb sie ihn damit zu der anderen?
Aber wie sollte sie ihm etwas geben, das sie nicht kannte! Flehend hob sie die Hände zum Himmel – und ließ sie mutlos wieder sinken.
Wie könnte sie sich mit solchen Sorgen an die Himmlischen wenden! Was wußten die Götter von den Nöten einer Frau?
Und die Göttin der Morgenröte – wie könnte sie ihr damit in den Ohren liegen, ihr, der jungfräulich reinen Tochter!
Sie wischte sich mit dem Handrücken die Nase, wischte die Tränen aus dem Gesicht.
Du dummes Ding! schalt sie sich selbst. Es ist Lykos' gutes Recht, sich Nebenfrauen zu nehmen, soviel er will! Und selbst wenn er jeden Tag eine andere hätte und alle an seinen Hof brächte, wäre es nicht deine Schuld, und du hättest kein Recht, dich zu beklagen!
Du bist seine einzig rechtmäßige Gemahlin, die Herrin seines Hofes, und er hält dich in Ehren.
Mehr steht dir nicht zu, und es ist weit mehr, als andere haben! Undankbar bist du, durch und durch undankbar! Denk an Cythia! Die hätte Grund zu weinen – und tut es nicht!
Und jetzt hör auf, dich wie ein albernes Kind zu benehmen und durch den Schnee zu laufen! Geh heim und kümmere dich um das Essen, sonst mußt du dich nicht wundern, wenn Lykos wirklich einmal streng mit dir wird!
Plötzlich merkte sie, wie sehr sie fror.
Sie kehrte um.
Zwei Jungen liefen auf dem Weg von der Pferdekoppel zum Hof. Temos und dieser Bauernjunge, den Lykos kürzlich als Pferdeknecht aufgenommen hatte.
Pferdeknecht? Das war wohl nicht das rechte Wort.
Moria winkte, die beiden blieben stehen und warteten auf sie. »Temos«, fragte sie, »bist du heute Lykos begegnet? Weißt du, wann er zum Essen kommen wird? Und ob er Gäste mitbringt?«
Temos schüttelte den Kopf. »Nein. Er war vorhin bei den Pferden und hat seinen Hengst aufzäumen lassen. Aber mehr weiß ich nicht.«
»Doch!« sprudelte der Bauernjunge hervor. Seine Wangen röteten sich. »Ich weiß, der Herr ist über das Schwarzmoor auf unseren Bauernhof zu ...«
Temos stieß ihn in die Seite, trat ihm auf den Fuß.
»... Naki«, vollendete der Junge seinen Satz und sah Temos verwundert an: »Was ist los?«
»Vergiß es!« zischte Temos und zog den Jungen weiter. Naki, Naki, Naki.
Der Knoten
–
Sie wachte früh auf, konnte nicht mehr einschlafen. Leise erhob sie sich und richtete ihren Teil des Bettes, in dem die kleinen Halbschwestern noch schliefen. Zum letzten Mal ihr Mädchenlager.
Heute würde er sie holen, Lykos, ihr Bräutigam.
Sie schüttelte das Kissen auf. Da sah sie die Schnur, die unter dem Kissen lag. Drei Knoten waren darinnen.
Sie hielt die Schnur in der Hand, als die Mutter hereinkam. »Mutter, was ist das?«
Die Wangen der Mutter röteten sich. »Wirf es ins Feuer, schnell!«
»Wieso?«
»Nun tu's schon!«
Sie verbrannte die Schnur und sah zu, wie die Knoten verschmorten, zu einer unkenntlichen Masse zusammenschrumpften, zerfielen.
»Jetzt können sie sich nie mehr lösen«, sagte die Mutter. »Jetzt gelten sie für alle
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