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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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weinst ja!«
    Sie flüchtete in seine Arme. »Wölai ist gestorben!«
    Zirrkan hielt sie einen Augenblick fest, dann schob er sie zurück und wandte sich zum Moor. »Heute nacht werden wir um sie trauern. Jetzt müssen wir das Moor überqueren!«
     

11
    Es hatte getaut. Vorfrühlingshaft warm strahlte die Sonne und ließ den Himmel leuchten.
    Doch der Hof war in einen schmutzig braunen Sumpf verwandelt.
    Moria hob ihren Rock, trat vorsichtig mit spitzen Füßen den kurzen Weg vom Wohnhaus zum Speicher an: Sie brauchte Ziegenkäse und Honig. Nichts verfeinerte eine würzige Grütze geschmacklich so vollkommen wie fein zerstampfter Ziegenkäse. Und die Rebhühner, die Lykos höchstpersönlich geschossen hatte, wollte sie in Honig einlegen, dann würden sie übermorgen – knusprig gebraten, mit Kochäpfeln und Nüssen angerichtet und mit einer mit Honig und Apfelessig gewürzten Soße zu Gerstenbrei gereicht – ein unübertreffliches Mahl abgeben. Noch besser wäre es natürlich, wenn sie die geheime Würzbrühe der Mutter zur Verfügung hätte, aber sie mußte bis zum Sommer warten, ehe sie diese in der Sonne aus vergorenem Fisch, Salz und Kräutern zubereiten konnte. Dann würde Lykos das Staunen lernen!
    Leise sang Moria vor sich hin.
    Im Hof übten Temos und der Bauernjunge Fior Bogenschießen.
    Auf einem Holztritt blieb sie stehen, sah den beiden zu.
    Ihr Vater hatte den Umgang mit den Bauernkindern verboten.
    Lykos aber ließ nicht nur zu, daß Temos mit Fior seine Zeit verbrachte – Lykos hatte es so befohlen.
    Warum tat er so etwas, warum verlangte er von seinem Bruder, Gemeinschaft mit einem Bauernjungen vom Alten Volk zu pflegen?
    Er ließ diesem Fior eine Ausbildung zukommen, die ihm nicht zustand. Er unterwies ihn sogar selbst im rechten Glauben und im Gebrauch der Waffen!
    Warum band er ihn an sich und erzog ihn sorgfältig wie einen Bruder, statt ihn als Knecht zu behandeln?
    Es kommt mir nicht zu, Lykos' Entscheidungen in Zweifel zu ziehen! rügte sie sich selbst. Wenn er anordnet, daß Fior wie ein Sohn des Himmels aufwachsen soll, so ist es richtig.
    Nachdenklich sah sie weiter den Jungen zu.
    Temos verschoß einen Pfeil. Statt in den Fuß des Pfostens traf er in den Schlamm. Mit einem ärgerlichen Ausruf rannte Temos dem Pfeil nach, zog ihn aus dem Dreck und wischte ihn mit den Lederstreifen ab, die er, in einen steinernen Ring geknotet, an einer Schnur um den Hals trug.
    Es schauderte Moria, und sie raffte das Tuch um die Schultern.
    »Aber es gehört mir! Onkel
Xyros
hat es mir geschenkt!« Mit beiden Händen bedeckte sie das Schmuckstück auf ihrer Brust, den durchlochten runden Stein mit den daran hängenden bunten Lederstreifen, den sie dem Onkel abgeschmeichelt hatte. Der Onkel hatte darüber gelacht, daß sie es haben wollte. Aber das ist nichts für kleine Mädchen, hatte er kopfschüttelnd gesagt, doch sie hatte so lange gebettelt, bis er es ihr zum Abschied geschenkt hatte, zum Trost, daß er sie mit der Großmutter nicht auf die Hochzeit der Kusine mitnahm wie ihre Schwester Cythia.
    Krugor grinste abfällig. »Was kannst du damit anfangen! Du weißt ja nicht einmal, was das ist!«
    »Weiß ich wohl«, schrie sie. »Es ist ein Schmuck, Onkel Xyros hatte es um den Hals, und es sieht schön aus!«
    »Schmuck!« Krugor lachte höhnisch. »Ihr Mädchen könnt doch an nichts anderes denken! Man braucht es zum Bogenschießen, man putzt die Pfeile daran ab! Also gib her!«
    »Nein!« schrie sie noch lauter.
    »Schrei nicht, Moria!« sagte der Vater. »Und tu, was Krugor sagt! Er ist dein Bruder, und du bist nur ein Mädchen. Du hast ihm zu geben, was er verlangt. Also!«
    Sie fuhr herum. Sie hatte nicht gewußt, daß der Vater in den Hof gekommen war.
    Ihre Finger krampften sich um das Schmuckstück.
    Mir gehört es. Onkel
Xyros
hat es mir geschenkt. Sie dürfen es mir nicht wegnehmen. Nicht wahr, Cythia, das dürfen sie nicht?
    »Willst du nicht gehorchen?« fragte der Vater.
    Stumm und reglos stand sie.
    Es ist nicht recht.
    »Dann bist du nicht mehr meine Tochter! Bis du gehorcht und dich entschuldigt hast«, sagte der Vater. »Ich sehe dich gar nicht mehr, und ich höre dich auch nicht mehr. Niemand sieht dich. Niemand hört dich.«
    Von diesem Augenblick an war es, als gebe es sie nicht.
    Sie schrie, und keiner hörte es. Sie bat um Essen, und niemand gab ihr etwas, sie bettelte und flehte, und alle sahen durch sie hindurch.
    Alle, auch die Mutter.
    Den ganzen Tag lang.
    Und Cythia und

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