Die Göttin im Stein
Großmutter, die beiden Einzigen, waren nicht da .
Verzweiflung und Entsetzen schnürten ihr den Hals zu. Sie lief zum Weiher und betrachtete ihr Spiegelbild im Wasser und traute ihren Augen nicht, als sie es sah. Sie rief den Hunden und war so erleichtert, als sie ihr folgten, als sie an ihr hochsprangen, daß sie weinte.
Abends traute sie sich nicht in das Familienbett – wenn die anderen sie nicht sahen, würden sie sich auf sie legen und sie erdrücken. Weinend versteckte sie sich im Schuppen.
Da war ihr, als höre sie Großmutters Stimme: »Mut, Kleine! Ich versteh' dich. Du hast recht. Aber gib trotzdem auf! Es lohnt nicht, du kommst damit nicht gegen deinen Vater an! Tu, was er verlangt!«
Wenn selbst die Großmutter es sagte...
Der Weg bis zum Wohnhaus war endlos weit.
Die Haustür ließ sich nur mit aller Mühe öffnen.
Sie stand im Raum. Voll war er mit Menschen. Und keiner sah sie.
»Ich, ich wollte sagen . . .«, begann sie mühsam. Niemand hörte sie.
Sie schlich zu ihrem Bruder. »Krugor!« sagte sie leise, er hob nicht den Kopf, schnitzte an einem Pfeil, laut wiederholte sie: »Krugor, bitte!«
Keine Regung von ihm.
»Aber, aber, ich bin doch da!« schluchzte sie.
Die anderen redeten miteinander, hatten nichts gehört.
Da nahm sie sich das Schmuckstück vom Hals, legte es Krugor in den Schoß, »Es tut mir leid«, ihre Stimme zitterte, und dann stürzte sie zu ihrem Vater, warf sich vor ihm nieder, umklammerte seine Beine.
»Was hast du mir zu sagen?« fragte er.
»Ich war Euch ungehorsam. Ich habe Schläge verdient!« schluchzte sie.
Er zog sie sich übers Knie und züchtigte sie mit der Rute, die immer am Wandbord bereitlag. Und sosehr es auch schmerzte, es war eine Wohltat: Sie war wieder da.
Dann weinte sie in seinen Armen, ihr kleiner Po brannte, sie drückte ihr nasses Gesicht an seine Brust, und alles war gut.
Moria verscheuchte die Erinnerungen. Sie kletterte die Leiter zu dem auf Pfosten erbauten Speicher hinauf, suchte einige von den kleinen, steinharten Ziegenkäsen hervor und prüfte bei der Gelegenheit gleich die sachgemäße Lagerung der Vorräte.
Siehst du, Lykos, mit welcher Umsicht ich dein Anwesen versehe?
Ihr Blick streifte durch den Speicher. Versuchte die Ecke mit der Tür zu vermeiden. Blieb doch daran hängen, unweigerlich wie immer, seit sie es wußte, seit sie Sahir die Geschichte entlockt hatte, die diese von den Mägden erfahren hatte.
Die Geschichte von Naki.
Heute wollte sie es nicht tun, heute nicht.
Sie wußte, daß sie es doch tun würde.
Langsam ging sie auf die Tür in der Ecke zu. Wie fest sie war. Wie mühsam der Balken sich zurückschieben ließ.
Sie öffnete die schwere Tür, trat in den dunklen, stark verzimmerten Verschlag und zog die Tür hinter sich zu. Wenn sie verschlossen wäre ...
Eingeschlossen hier drinnen. Blutig ausgepeitscht. Verzweifelt hoffen, daß er kommt. Und noch mehr es fürchten –
Da war es wieder, dieses bange Klopfen in der Brust. Und zwischen den Beinen. Dieser Taumel.
Sie stieß die Tür auf, warf sie hinter sich zu, stürzte durch den Speicher, sprang in den Hof hinunter, rannte durch den Matsch und merkte nicht, wie der Schlamm ihren Rock beschmutzte.
Am Abend kam Lykos nicht nach Hause.
Moria wartete und wartete, hielt das Essen warm, solange sie konnte, ließ schließlich den Männern des Hofes im Herrenraum auftragen und aß mit den Frauen an der Kochstelle.
Die Frauen lobten das Essen, unterhielten sich, lachten, schwatzten und klatschten.
Sie hörte nicht zu.
Sie lauschte in den Hof.
Kein Hufschlag.
Er ist bei ihr.
Und ich dachte, es wäre vorbei.
Ich dachte, jetzt hätte er keinen Grund mehr, zu ihr zu gehen.
Wenn es sie nicht gäbe ...
Die Knoten –
Die anderen legten sich schlafen, die Verwandten im Nebenraum, die Knechte und Mägde in der Hütte.
Ruhelos wanderte sie durch den Herrenraum, richtete Becher und Töpfe auf den Wandborden in Reih und Glied aus, zupfte Felle und Webdecken an den lehmverputzten Flechtwänden gerade, schüttelte die mit Wollgras gefüllten Kissen auf ihrer gemeinsamen Bettstatt und dem Gastlager auf, faltete die Kleidung in der Truhe neu, rückte die Eckbank, den niedrigen Tisch und die Hocker vom Platz und zurück, kämmte das Bärenfell, nahm die Waffen und Werkzeuge von den Wandhaken, rieb sie, bis Holz und Stein nur so glänzten, und hängte sie wieder auf, schichtete sogar das Brennholz im Korb zu einem gleichmäßigen Stapel.
Lykos war noch immer nicht
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