Die goldene Barke
anderen den Hinterkopf. »Vielleicht zweihundert Meilen, mehr oder weniger.«
»Gut. Genügt das als Bezahlung?« Sie zeigte ihm einen Beutel voller Münzen. »Sie sind aus Gold.«
»Ja«, sagte er. Seinen Augen war anzusehen, daß es mehr als genug war.
»Ich möchte eine Einzelkabine«, fügte sie rasch hinzu. »Selbstverständlich.«
»Dann komme ich an Bord«, sagte sie mit einer Stimme, die härter als sonst klang. »Wann legen Sie ab?«
»Um vier Uhr«, antwortete er. »Sie haben noch eine Stunde
Zeit.«
»Danke«, sagte sie.
Sie hatte die Vereinbarung so spät wie möglich getroffen. Der Mann, von dem sie das Geld erhalten hatte, hätte ihr folgen und verlangen können, daß sie zurückkehre. Nicht, daß sie etwa besonders unglücklich mit ihm gewesen wäre; es lag einfach daran, daß er nicht Tallow war. Ihre Suche nach Tallow, seine Verfolgung war zu einer Besessenheit geworden. Sie liebte ihn noch immer.
Die Kabine war einfach und sauber, wenn auch klein. Auf der Backbordseite befand sich eine Koje, gegenüber ein Schrank. Das war alles. Der Matrose, der ihr die Kabine zeigte, sagte: »Ich bringe Ihnen jeden Morgen um acht warmes Was ser zum Waschen, Madam. Ihr Frühstück werden Sie so gegen halb neun in Ihrer Kabine serviert bekommen.«
»Danke.« Sie lächelte. Der Matrose war groß und gutaussehend. Er sah sie scheu an, wie sie sich von manchen Männern gern anblicken ließ. »Die Reise wird sicher angenehm werden.« »Hoffentlich, Madam«, sagte er.
»Ja, hoffen wir es.« Sie lächelte wieder, warf ihm einen auffordernden Blick zu. Sie konnte nicht anders. Es war eine ihrer Gewohnheiten. Auf jeden Fall, sagte sie sich einschränkend, ist mein Gefühl für Tallow nicht rein sexuell, sonst würde ich davon absehen, das zu tun, was ich eben mache. Ich werde ihm folgen, aber ich werde dem Dreckskerl nicht treu sein. Die tiefe, schmerzliche Sehnsucht, die sie für den empfand, der sie verlassen hatte, wurde bei diesem Gedanken ein wenig erträglicher. Sie lächelte ein drittes Mal, lächelte vor sich hin. Sie hatte eine lange, beschwerliche Reise hinter sich. Als sie sich schließlich ans Ufer gekämpft hatte, mußte sie meilenweit laufen, bis sie auf eine Stadt stieß. Dort schloß sie rasch Freundschaften und landete schließlich in den Armen des Bürgermeisters. Von ihm hatte sie sich das Fahrgeld zur nächsten Stadt besorgt, denn sie mußte ganz plötzlich abreisen, als die Bürgermeisterin die Neigung ihres Gatten entdeckte. Und so zog sie weiter, setzte sich in Bewegung, wenn sie konnte – oder wenn sie mußte. Sie hatte schließlich einen reichen Mann und ein Schiff gefunden, das ein gutes Stück fuhr. Die beiden zusammen waren ein außergewöhnlicher Glücksfall gewesen.
Sie wußte noch immer nicht, warum sie Tallow folgte. Er hatte sie widerwärtig behandelt, und doch wußte sie, daß er sie immer noch liebte. Ihr Ego war erschüttert worden, das war alles, und sie war nicht ganz glücklich mit der kalten Dusche und dem darauffolgenden Herumwandern. Ein Teil ihres Verstandes schwor sich boshaft, Tallow vor sich kriechen zu lassen,
wenn sie ihn eingeholt haben würde. Und sie würde ihn einholen. Das stand fest.
Sie packte also ihre paar Habseligkeiten aus und konnte es kaum erwarten, bis das Schiff vom Kai ablegte. Wie sie ihren Tallow kannte, war der sicher nicht sehr viel weiter gekommen.
Zwölftes Kapitel
allow hatte die Barke eingeholt. Sie war nur noch etwa
eine Viertelmeile von ihm entfernt. Aber das Wetter
war schlecht. Der Wind heulte ihm um die Ohren, und T der Fluß war hier breit und deshalb unruhig und gefährlich. Die wirbelnden Wasser und der Wind hatten nicht die geringste Wirkung auf die Barke. Sie zog zielsicher weiter; ruhig, heiter, unerschütterlich bewegte sie sich den Fluß hinab, als gäbe es kein stürmisches Wasser. Die Strömungen, die Tallow so zu schaffen machten, konnten dem stetig dahinziehenden goldenen Schiff nichts anhaben. Sie trieben es nicht einen Zoll vom Kurs ab, den es genau in der Flußmitte steuerte. Tallow war weder erstaunt noch verwirrt. Er hatte das so erwartet, sonst wäre es sinnlos gewesen, ihr zu folgen. Immerhin war er verärgert und regte sich über den plötzlichen Wetterumschwung auf, der in dem Augenblick eingetreten war, in dem er die Barke wieder sichtete. Es war stets das gleiche. Immer wenn die Möglichkeit bestand, sie einzuholen, trug sich etwas zu, das ihn ablenkte, ob es nun mit Menschen oder der Natur zu tun hatte.
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