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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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größeren Bränden und noch weniger Überlebenden. Auf Dächern tanzten Flammen, und Hütten stürzten ein. Zwei Pferde jagten vorbei, auf denen abgemagerte, nackte Reiter saßen. Sie hielten Fakkeln in ihren Händen und legten Brände, wo sie vorüberkamen. Bis auf die klappernden Hufe und das Prasseln des Feuers war nichts zu hören. Es war, als lege sich der Rauch wie ein Mantel auf alles und ersticke jedes weitere Geräusch. Tallow wickelte das Kind aus der Decke und warf das Körbchen ins Feuer. Er hatte dadurch weniger schwer zu tragen und zog sich vom Dorf zurück, trottete auf die Hügel zu. Er war voller Verzweiflung und Zorn. Das Glück hatte ihn verlassen. Das Kind erwachte und begann zu wimmern. Tallow brachte es auf die einfachste Art, die er kannte, zum Schweigen. Er legte ihm seine Hand auf den Mund. Das Wimmern war ihm wie ein Frevel erschienen.
    Er hustete und spie den schlechten Geschmack aus. Er rannte weiter, und die zwei Reiter galoppierten an ihm vorbei, jagten die Hänge hinauf. In ihren Händen loderten noch immer die Fackeln, und ihre Rippen traten unter der bleichen Haut hervor. Sie saßen geduckt auf ihren Rössern, erreichten den Hügelkamm und verschwanden. Tallow stolperte ihnen nach, hörte sich selbst, wie er ihnen vergebens nachschrie.
    Den Rest des Tages suchte Tallow die Gegend ab, und überall sah er Rauch, manchmal auch Reiter, die sich aber um ihn nicht kümmerten. Er konnte das Baby nicht am Weinen hindern, und schließlich hörte er es schon gar nicht mehr. In seiner Pein und Zerrissenheit verlor er jegliches Ziel aus den Augen. In seinem Kopf war Chaos, die Einsamkeit, die er zum ersten Mal spürte, war schrecklich. Das Ausmaß von Angst, von schleichendem Schrecken in der Welt war ungeheuerlich, und während er so dahinstolperte durch die gräßliche Landschaft, das Baby an die Brust gedrückt, meinte er, in der Hölle zu sein. Das Kind war auf verwirrende Art mit ihm verbunden, er konnte es nicht mehr loswerden. Niemand war da, der ihm half, keine Mutter, keine Miranda, kein Mesmers. Er war völlig allein und sah keinen Ausweg aus der Lage, in die er sich gebracht hatte.
    Er hatte seine Mutter, seine Geliebte und seinen Lehrer verleugnet und, da ihm diese nun fehlten, eine Verantwortung für sich selbst übernommen, mit der er einfach nicht fertig werden konnte.
    Zum ersten Mal glich das Zerrbild seinen Mitmenschen; das bewirkten die gesamten Einflüsse derer, denen er auf seiner Reise flußabwärts begegnet war. Wieder erlebte er geistige Furcht und persönliches Gefühl. Die Furcht füllte ihn völlig aus.
    Im Kreis qualmender Dörfer und des Schreckens der Hungersnot und der Seuche verlor er bald jegliche Orientierung. Die Hügel waren atmende Wälle grünen Schlicks und warteten nur darauf, ihn zu ersticken. Die Täler waren klaffende Mauler, die danach gierten, ihn zu verschlingen. Es gab keinen Ausweg, kein Versteck, kein Ziel.
    Dann blinkte der Fluß vor ihm auf. Mit schluchzenden Dankeslauten lief er auf ihn zu, kam ans Ufer, benetzte seinen schmerzenden Kopf. Das Kind lag hilflos neben ihm im Gras. Er rannte flußaufwärts, suchte aufgeregt das Ufer nach seinem Boot ab. Er fand es an der Stelle, an der er es verlassen hatte. Ein alter, weißhaariger Mann stand in der Nähe und betrachtete das Boot. Sein Gesicht lag im Schatten eines breitrandigen, zerbeulten Hutes, und er lächelte den näher kommenden Tallow freundlich an. Als Tallow den Mann sah, fiel ihm das Kind ein, das er flußabwärts zurückgelassen hatte. »Ein Baby«, sagte er, »dort unten.« Er zeigte in die Richtung. Aus der Nähe war zu sehen, daß die Güte und die Freundlichkeit des alten Mannes nur die äußeren Zeichen seiner Vergrei
    sung waren. Er grinste lediglich und nickte. »Verstehen Sie?« fragte ihn Tallow.
    »Jawohl«, erwiderte der alte Mann mit feuchtem, faltigem,
zahnlosem Mund.
»Werden Sie sich um das Kind kümmern?«
»Jawohl.« Er machte jedoch keine Anstalten.
»Sicher?«
»Jawohl.«
Tallow kletterte in sein Boot und machte die Leinen los. Der
Mann am Ufer blieb still stehen, lächelte aus trüben, leeren
Augen. »Sicher?«
Der weißhaarige Alte hatte sich umgedreht.
    »Sicher?« rief ihm Tallow nach, aber der Greis hörte den Ruf nicht mehr.
    Tallow ließ den Motor an. Die Schraube wirbelte das Wasser auf.
    Nach ein paar Augenblicken war Tallow an dem wimmernden Kind vorbei, befand er sich wieder auf seinem Weg flußabwärts.

    Dreizehntes Kapitel

    T allow blickte die Männer

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