Die goldene Königin
beim Lachen zeigte er seine Wolfszähne, und wenn er jemanden beobachtete, wirkte sein Lächeln teuflisch. Sein von tiefen Falten durchzogenes und grob geschnittenes Gesicht war absonderlich und prägte sich für immer ein. Eine übermäÃig groÃe lange Nase, eine unendlich hohe Stirn und graues, fast weiÃes Haar, das so dicht war, dass es einen wahren Wald um seinen kahlen Schädel bildete. Die Haare hoben sich noch stärker ab, wenn man die dichten schwarzen Brauen betrachtete, die wie ein spitzes Hütchen geformt waren.
Frescobaldi Hieronymus faszinierte unwillkürlich durch seine Hässlichkeit und Grobheit.
Der Goldschmied glitt lautlos hinter seinen groÃen Tresen aus geschnitztem Holz, auf dem, neben dem Gegenstand der Verhandlung, weitere wertvolle Stücke ausgestellt waren: Armbänder und Ketten aus Gold, kleine mit Edelsteinen verzierte Spiegel, Degenknäufe, Silberkisten, Nadeln für eine Stola sowie mit Rubinen und Amethysten besetzte Capes. Da in dem Geschäft plötzlich völlige Stille herrschte, wagte Mathilde nicht zu sprechen.
Durch die offene Tür drang etwas Tageslicht herein, und ein breiter Lichtstreifen fiel auf den Tresen des Goldschmieds.
Mathilde bewegte sich noch immer nicht. SchlieÃlich wandte sich Hieronymus mit tiefer Stimme an sie.
»Was wollt Ihr von mir?«
»Emmanuel Riccio, Kaufmann aus Genua, dem ich in Lyon begegnet bin, schickt mich.«
Als sie Namen und Stadt aussprach, beruhigte sie sich etwas und gewann ein wenig Selbstsicherheit zurück. Sie sah, dass Hieronymus kaum merklich eine dunkle Braue hob und sie mit etwas mehr Interesse betrachtete.
»Gehört er zu Euren Bekannten?«
»Natürlich«, behauptete sie diesmal mit der ganzen Selbstsicherheit, die nötig war, um diesen hartgesottenen Kerl zu überzeugen. »Er arbeitet mit meinen Eltern zusammen, die in Brügge einen Tapisseriehandel betreiben. AuÃerdem ist er ein Freund meiner Tante Constance de Peralta, die in Florenz lebt und die ich besuchen werde.«
»Dann seid Ihr allein in Avignon?«
»Nein, ich bin in Begleitung von Fildor«, entgegnete sie.
»Fildor!«
»Ja, mein treues Pferd. Wir trennen uns nie voneinander.«
Triumph! Ruhm! Sie hatte ihm ein Lächeln entlockt. Aber was für ein Lächeln? Seine schmalen roten Lippen zogen sich in die Länge wie der purpurne Faden, der dazu diente, das Blut Christi am Kreuz zu weben. Ein teuflisches Lächeln! Einerlei, der Kontakt war hergestellt, und Mathilde gewann ihre übliche Kühnheit zurück.
»Meine Mutter ist Weberin in Tours. Unsere Werkstatt arbeitet vor allem für den französischen König und seine Familie. Das letzte Mal, als sie mit mir zusammen in Lyon war, ist ihr ein Geschäft mit Sire Riccio entgangen. Es handelte sich um ein Webstück aus der Türkei.«
Er hob die Hand und unterbrach sie.
»Sprecht nicht weiter, und trefft mich heute Abend im Gasthaus zur âºSchwarzen Oliveâ¹. Es befindet sich am westlichen Stadttor von Avignon.«
Es kostete Mathilde Ãberwindung, allein ein Gasthaus zu betre ten. So etwas hatte sie noch nie getan, und ihre Jugend würde Aufmerksamkeit erregen. Es wäre besser gewesen, zwischen Pflügen und Getreidesäcken in einer Scheune zu übernachten oder auf frischem weichem Stroh in einem Stall in der Umgebung.
Sie begann die beruhigende Gegenwart von Baptista zu vermissen. Mit sechzehn Jahren stieg man nicht allein in einem Gasthaus ab. Auch als ihre Mutter als junges Mädchen auf der StraÃe unterwegs gewesen war, hatte sie immer ein ruhiges Plätzchen auÃerhalb der Städte gefunden. Viele Bauern zeigten Mitgefühl und nahmen Reisende bei sich auf, die ein schützendes Dach für die Nacht suchten. Ach! Kein Geziere! Sie straffte sich, hielt Fildor am Zügel und betrat den Hof des Gasthauses. Sie würde nicht wie ein ängstliches Mädchen zittern.
Ein junger Knecht kam auf sie zu und bot ihr an, das Pferd in den Stall zu bringen und ihm einen Kübel Hafer zu geben. Sie willigte ein und überlieà Fildor den Händen des Jungen, der entzückt war, einem so hübschen Mädchen zu Diensten zu sein. Dann betrat sie das Gasthaus.
Es war nicht groÃ. Das Zentrum bildete ein langer Tisch, an dem bereits einige Reisende die Nase über ihre Schüssel senkten und soupierten. Langsam wandte Mathilde den Kopf nach rechts, dann nach
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