Die goldene Königin
orderte, suchte sie nach der richtigen Formulierung für ihre Frage. Sie fand sie, als sie die Lippen in den zweiten Krug tauchte.
»Kennt Ihr den Gonfaloniere Alessandro van de Veere?«
Er starrte sie an und begriff, dass dieses Mädchen keine Dienerin war. War sie eine junge Intrigantin, die eine angesehene Florentiner Persönlichkeit einiger Güter berauben wollte? Er log:
»Ja, ich kenne ihn. Er lebt am rechten Ufer des Arno.«
Mathilde leerte gereizt ihren Krug und stellte ihn geräuschvoll auf dem Tisch ab. Daraufhin drehte sich der Wirt kurz nach ihr um, achtete jedoch nicht weiter auf sie und bediente die anderen Gäste.
»Das stimmt nicht. Alessandro van de Veere ist seit Langem tot.«
»Ihr wolltet mich mit Eurer Frage in eine Falle locken!«
»Zweifellos. Also hört auf zu lügen und sprecht von ihm in der Vergangenheitsform.«
»Und warum sollte ich mit Euch über ihn sprechen, ohne den Grund dafür zu kennen?«
»Weil er mein Vater war.«
Das war ihr zweiter Fehler. Alles war gesagt, und das Raubtier musste nur noch zugreifen.
»Er wäre etwas älter als Ihr, Sire Fresco Hieronymus.«
Er ergriff ihre Hand und sagte mit tiefer Stimme:
»Nennt mich Fresco.«
Sie nahm kaum wahr, dass er einen weiteren Hypokras bestellte, leerte ihn mit unfassbarer Gier und blickte ihren Folterknecht flehend an.
»Erzählt mir von ihm.«
»Unter einer Bedingung.«
»Sie wird sofort akzeptiert.«
War das ihr dritter und letzter Fehler? Es scherte sie nicht, sie wollte nur eines: etwas über ihren Vater erfahren. Er hielt ihre Hände in seinen wie ein Teufel, der nicht mehr von seiner Beute ablassen will.
»Die Bedingung ist nicht rückgängig zu machen. Wenn Ihr zurückzieht, müsst Ihr die Folgen abwägen.«
»Erzählt mir von meinem Vater.«
»Willigt ein, mein Zimmer zu teilen.«
»Einverstanden.«
Er war ein Falke und schloss seine Krallen um sie. Seine runden schwarzen blanken Augen lieÃen sie nicht mehr aus dem Blick.
Mit einer Geste bedeutete er dem Wirt, einen vierten Gewürzwein zu bringen. Jener zögerte, doch der unnachgiebige Blick von Frescobaldi Hieronymus vertrieb seine Gewissensbisse. So wie sich die Dinge entwickelten, würde die Kleine kein Essen mehr zu sich nehmen. Die ganzen Getränke reichten, um sie zu sättigen und auch, um sie einzuschläfern. Ihr Oberkörper neigte sich bereits leicht nach vorn.
»Nach dem mächtigen Soderoni, dem bekannten Förderer Raffaels«, begann er, während Mathilde ihm mit halb geschlossenen Augen zuhörte, »war Alessandro van de Veere der einflussreichste Mann in Florenz. Er war ein schöner Mann von ausgesuchter Höflichkeit, wohlhabend und mächtig, denn er hatte die Medici hinter sich, die seine Macht gegenüber den Flamen stärkten. Deshalb beherrschte er den Markt von Brügge. Doch was seine eigentliche Macht ausmachte, war der Handel, den er mit den orientalischen Ländern unterhielt.«
»Ich weiÃ, dass er mit meinem GroÃonkel, dem Kardinal Jean de Villiers, dorthin gereist ist. Mein GroÃonkel war Halbtürke, er arbeitete für den Papst Borgia.«
Mittlerweile wunderte sich Frescobaldi über nichts mehr. Er wartete nur noch auf den Moment, in dem er dieses Mädchen in den Armen halten und sie zwingen würde, sich seiner Lust zu beugen.
»Es heiÃt, ich hätte den orientalischen Markt nach seinem Tod übernommen.«
»Von wem sprecht Ihr, Fresco? Von meinem Onkel oder von meinem Vater?«
Ihr Kopf wankte, dann richtete sie sich mit plötzlichem Schwung auf. Sie starrte dem Mann in die Augen, der sie musterte wie ein Wahnsinniger. Sein Blick durchbohrte sie wie Pfeilspitzen. Doch was sollte sie tun, sie wollte alles über ihren Vater hören.
»Lasst mich Euch aufs Zimmer bringen«, raunte er in ihr Ohr.
»Aber Ihr habt mir noch gar nichts erzählt, und ich will alles wissen.«
Besorgt über die Wendung der Ereignisse, kam der Wirt an den Tisch.
»Ich habe das Zimmer der Demoiselle vorbereitet â¦Â«
»Bringt uns zu meinem. Das genügt.«
Als der Wirt zögerte und unschlüssig die Arme an seiner Schürze aus weiÃem Drillich herabhängen lieÃ, warf der Bankier ihm einen vollen Geldbeutel zu.
»Reicht das, mein Freund?«
Der Wirt fing den Beutel aus der Luft, schluckte schwer, wog ihn in der Hand und
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