Die goldene Königin
redete sie da für einen Unsinn? Sie brachte sie ohnehin nicht zum Nachdenken. Erinnerte sie sich denn nicht? Sie war gerade einmal zehn Jahre alt gewesen, als sie sich in Jacquou verliebt hatte, und mit dreizehn hatte sie ihn geheiratet. Dennoch, diesmal gab sie nicht nach.
»Kommt endlich! Es ist sehr unhöflich unserem Gast gegenüber, wenn ihr nicht bald zu Tisch kommt!«
3.
Marguerite langweilte sich in Alençon. Nur weil ihr Bruder, der französische König, Blois verlassen musste, war sie in die Normandie zurückgekehrt. Zum dritten Mal las sie an diesem Morgen den Brief von François und prägte sich jedes Wort ein, als wollte sie ihn mit geschlossenen Augen auswendig wiedergeben können.
Dann sagte sie sich, dass ihre Langeweile sicherlich von ihrer Einsamkeit herrührte. Ihre Freundin Blanche de Tournon zog sich gern ins Schloss zurück, und die fromme Dame du Breuil schloss sich stundenlang in die Kapelle ein. Sie kam erst wieder heraus, wenn sie den gesamten Rosenkranz gebetet und mehrfach die Seiten ihres Stundenbuchs gelesen hatte.
Was ihren Privatsekretär, den lieben Clément Marot, anging, hatte sie ihn vorübergehend in Lyon zurücklassen müssen, wo ihn eine Gruppe junger Intellektueller in Anspruch nahm, die nach neuen Ausdrucksformen in der Literatur suchte. Die Druckkunst, die sich noch in den Anfängen befand, drohte Texte hervorzubringen, die von der Sorbonne verboten wurden. Buchhändler, Dichter und Studenten fanden sich mitunter an geheimen Orten zusammen. Und ohne dass Marguerite genauer zu sagen wusste, weshalb, verband sie damit groÃe Hoffnungen. Clément würde ihr alles erklären.
Blieb die alte Comtesse dâAlençon, ihre Schwiegermutter. Sie verlieà ihr Zimmer praktisch gar nicht mehr und wiederholte ohne Unterlass die täglichen Aufgaben, denen ihre Schwiegertochter sich widmen sollte.
Marguerite sehnte sich nach Jugend und Lebendigkeit. Sie beschloss, einen Boten zu Alix zu schicken, um für die Zeit, die sie in Alençon blieb, nach der jungen Mathilde zu verlangen. Nun, da das Mädchen richtig reiten konnte, brachte Marguerite ihr die Tricks bei, die sie einst von ihrem Bruder gelernt hatte, damit sie ebenso aufrecht im Sattel saà wie die geschicktesten Reiter.
Mathilde hatte überhaupt nichts dagegen zu kommen. Ganz im Gegenteil, sie liebte es, auf dem Pony zu reiten, das ihr der König zum achten Geburtstag geschenkt hatte. Bei allen Heiligen der Normandie! Marguerite sah noch die freudestrahlenden Augen von Mathilde vor sich, als sie ganz aufrecht auf dem Pferd sitzend den Ratschlägen von François gelauscht hatte, damals noch Comte dâAngoulême. Gewiss, heute hatte er keine Zeit mehr, sich durch derlei Vergnügungen ablenken zu lassen.
Der französische König führte nun das Leben eines Monarchen. Er war in den Feldzug aufgebrochen, dem er seit seiner Jugend entgegengefiebert hatte. Der junge König war abgereist, um in Italien zu kämpfen, und Marguerite liebte es, wenn Mathilde lauthals verkündete, dass er, ein Ritter ohne Furcht und Tadel wie der berühmte Bayard, als Sieger heimkehren werde.
Marguerite lächelte, wenn sie sah, wie übermütig Mathilde bei dieser Vorstellung wurde. Dabei musste sie seltsamerweise an Alix denken, die damals, als Louise dâAngoulême in Schwermut versank, ebenfalls lauthals versichert hatte, dass ihr Cäsar eines Tages König von Frankreich werden würde.
Ja! Marguerite würde unverzüglich um die Ankunft von Mathilde bitten. Die Kleine gefiel ihr. Sie war lebendig und intelligent. Sicherlich besaà sie genug Talent, um eine gute Weberin zu werden. Sie litt jedoch nicht darunter, dass ihre Schwester ihr auf diesem Gebiet überlegen war, und obwohl sie die Gabe ihrer Zwillingsschwester bewunderte, wählte sie lieber einen anderen Weg, auf dem Valentine ihr nicht folgen konnte.
Bot der Hof des jungen François I. nicht zahlreiche Gelegenheiten zu brillieren? Mathilde hörte zu, lernte und dachte nach. Marguerite hatte ihr alles beigebracht, angefangen vom Protokoll am Hof, der Kunst des Reitens, dem Gesang, der Musik, dem Tanz sowie Grammatik, Rhetorik, Literatur und vor allem die Vorliebe für Sprachen, die Marguerite stets zu den groÃen politischen Ereignissen ins Ausland gebracht hatte.
Mathilde hatte ganz offensichtlich mehr als eine Begabung. Während Valentine die künstlerische
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