Die goldene Königin
Horizonten entgegen, die sie voller Neugier entdecken würde? Warum brachte Charles ihr nicht mehr Zärtlichkeit und Sanftheit entgegen? Er verhielt sich ihr gegenüber äuÃerst barsch, und selbst wenn sie sich liebten, war er grob und verletzend.
Die junge Frau legte den Brief ihres Bruders auf den Sekretär, und ihre Gedanken wanderten zu ihrer Mutter. Die Duchesse dâAngoulême, die sehr früh verheiratet worden war, hatte vielleicht nicht dieselben Ambitionen wie der Comte dâAngoulême gehabt, aber sie hatten wenigstens die Liebe für die Literatur und die Kunst miteinander geteilt. Das entschädigte für vieles.
Seit François in den Krieg nach Italien aufgebrochen war, hatte Louise dâAngoulême, ihre Mutter, die Regentschaft übernommen. Sie war sich bewusst, dass sie vor allem die bestehende Politik festigen musste. Entschlossen, sich dieser Aufgabe tatkräftig zu widmen, hatte sie ihrem Sohn aufgetragen, ihr durchsetzungsfähige Berater zur Seite zu stellen. Zuallererst Kanzler Duprat, dann seinen Sekretär Florimont Robert und den Finanzier Berthelot, der zurzeit von dem reichen und mächtigen Jacques de Beaune alias Semblançay vertreten wurde.
Unter seiner Anleitung regelte Louise dâAngoulême nun also vier Monate lang Frankreichs Finanzen. Aber Françoisâ Reise nach Italien hatte so viel Geld verschlungen, dass die gewährten Kredite nicht ausreichten und seine Mutter ihr privates Vermögen angreifen musste. Die Kassen des Königreichs blieben leer zurück. Daraufhin hatte Louise angeordnet, das gesamte goldene Geschirr einzuschmelzen und dadurch über eine Million Ãcus freigesetzt. Damit hatte sie die Neutralität Heinrichs VIII . erkauft, der nie genug Geld bekommen konnte und keine Gelegenheit verstreichen lieÃ, sich welches zu verschaffen.
AuÃerdem hatten die Finanziers mehr als zehntausend Louis vorgestreckt, um deutsche Infanteristen zu rekrutieren. Alle hatte man mit schweren Arkebusen ausgestattet sowie mit einer Stützgabel, damit sie besser zielen konnten.
Weitere Gelder hatte Louise aus den Steuerabgaben der Bürger beschafft, die man im Laufe des Frühlings eingetrieben hatte. Sie erlaubten François, seine eigene Armee aufzustocken und jeden Soldaten mit einer langen Eschenlanze auszustatten, um damit die feindliche Kavallerie aufzuspieÃen.
Marguerite wusste, was dieser Krieg kostete, und verstand die Bemühungen ihrer Mutter nur zu gut, ihrem Sohn zu helfen. Sie wünschte sich nichts mehr, als ins Val de Loire zurückzukehren. Marguerite legte eine Hand auf ihre Stirn, dachte kurz nach und beschloss, den Boten, der ihr Mathilde bringen sollte, am nächsten Tag im Morgengrauen loszuschicken. Tours lag nicht sehr weit von Alençon entfernt, in kaum zwei Tagen wäre das Mädchen bei ihr.
Marguerite stand auf. Ihre Schwiegermutter rief mit dieser dünnen unnachgiebigen Stimme nach ihr, in der deutlich anklang, dass man ihr in ihrem fortgeschrittenen Alter jeden noch so kleinen Wunsch erfüllen müsste.
Seit ihrer Rückkehr nach Alençon hatte Marguerite ihr geduldig immer wieder die gewünschten Passagen aus der Bibel vorgelesen. Ohne zu murren, holte sie reihenweise dicke fromme Bücher aus der Bibliothek und packte sie stapelweise auf den Tisch in ihrem Zimmer.
Die alte Duchesse mit der gelblichen Haut und dem zahnlosen Mund, deren müde Augen zwischen tiefen Falten verschwanden, meinte, die Lektüre heiliger Bücher würde sie vom Prunk des Hofs fernhalten.
Sie schätzte es nicht, dass Marguerite sich so häufig von ihrem neuen Zuhause entfernte. Hätte es sich bei ihrem Bruder nicht um den französischen König gehandelt, hätte sie ihr das auf unangenehme Weise zu verstehen gegeben.
Doch ihre Durchtriebenheit lieà sie auf andere Methoden zurückgreifen. Sie wusste, dass Marguerite sich leicht von mystischen Gedanken einnehmen lieÃ, die sie unwillkürlich ihrem mittelmäÃigen Eheleben näherbrachten.
Herrgott! Dass der Sohn so einfältig war, sich einen solchen Trumpf entgehen zu lassen. Herrgott! Dass er so dumm war, die ganze Zeit mit seinen Waffenbrüdern, seinen Knechten und Freunden zu vertun.
»Mutter«, sagte Marguerite, während sie auf die alte Frau zuging, »wünscht Ihr, dass ich Euch etwas vorlese?«
»Nicht heute Morgen, Marguerite. Ich habe gehört, dass Ihr nach Argentan reisen
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