Die goldene Königin
Nachdem sie der vertrauenswürdigen Bäuerin ihren prallen Bauch gezeigt hatte, erzählte sie ihr ihre Geschichte.
»Ich bin traurig und erschöpft«, sagte sie wie das unschuldigste Wesen der Welt. »Seit Tagen suche ich nach meiner Zwillingsschwester. Ich muss sie unbedingt nach Hause bringen, denn ich spüre, dass sie in Gefahr ist.«
»In Eurem Zustand, meine arme Kleine!«, rief die gute Frau und rang die Hände. »Konnte sich darum nicht Euer Mann kümmern?«
»Leider nein! Nur ich kann sie finden.«
»Lieber Jesus! Bis wohin wollt Ihr denn reisen?«
»Zunächst bis Paris. Und wenn sie dort nicht ist, reite ich bis nach Brügge weiter, das war ihr Ziel.«
»Meine arme Kleine! Vielleicht findet Ihr sie nicht!«
»Doch! Aber das kann niemand verstehen«, entgegnete Valentine fast resigniert.
»Aber in Eurem Zustand«, beharrte die freundliche Frau, »Ihr werdet vorher niederkommen. Ihr solltet lieber warten, bis Euer Kind auf der Welt ist!«
Valentine ignorierte ihren Rat, schüttelte den Kopf und streckte ihr die Hand entgegen, in der sie einige Münzen hielt.
»Nehmt, ich kann Euch dafür bezahlen, dass ich die Nacht in Eurer Scheune verbringe. Macht Euch keine Sorgen, ich bin eine Weberin und wohne in Tours, wo sich unsere Werkstätten befinden.«
Doch die Bäuerin schob Valentines Hand mit den Münzen zurück.
»Behaltet Euer Geld, meine Kleine. Man soll nicht von mir sagen, dass ich eine junge Frau kurz vor der Niederkunft von meinem Hof jage.«
Die Geschichte berührte die Bäuerin sehr, dass sie, ohne erst mit ihrem Mann, dem Bauern, zu sprechen, Valentine die Scheune öffnete und ihr eine groÃe Schale warmer Suppe mit Speck und Gemüse brachte.
Viel später, nachdem sie sich im Morgengrauen erneut auf den Weg gemacht hatte, fand sich Valentine vor den Toren der Hauptstadt wieder und wusste nicht, welches sie wählen sollte, um in die Stadt zu gelangen. Da sie weder das eine noch das andere kannte, beschloss sie, ihrem Instinkt zu folgen. So erreichte sie schnell das Zentrum der Hauptstadt. Hier stank es so heftig nach Müll, Mist, Wollfett, Pferdeäpfeln sowie frischen und vertrockneten Exkrementen, dass Valentine zunächst glaubte, sich übergeben zu müssen. Die Luft schien ihr unerträglich. Nach ein oder zwei Stunden hatte sie sich an die Atmosphäre und die widerlichen Gerüche gewöhnt, an die Aufregung und Unruhe, die überall herrschten.
Plötzlich stieà sie auf eine Wegsperre. Von Weitem sah sie die Umrisse der Kathedrale und die Brücke, die man passieren musste, um dorthin zu gelangen.
»Haltet an, junge Dame. Diese Ecke ist nichts für Euch.«
»Aber genau dort muss ich hin«, beharrte die junge Frau.
Warum bestand Valentine darauf, die Sperre zu passieren und die Brücke zu überqueren? Spürte sie, dass ihre Schwester in diesem gefährlichen Viertel gefangen gehalten worden war? Ahnte sie, dass Mathilde nach ihrer Flucht zögerte, ihren Weg fortzusetzen?
»Dort solltet Ihr Euch nicht hinbewegen, junge Dame«, wiederholte die freundliche Frau, die Valentine mit einem Karren voll Stroh den Weg versperrte. »Das ist gefährlich. Man nimmt die bösen Kerle fest.«
»Die bösen Kerle!«
»Aber ja!«
Als Valentine sie verständnislos ansah, setzte sie hinzu:
»Das sind Banditen, Bengel, die plündern, vergewaltigen und alles töten, was sich bewegt.«
»Das geht schon lange so und wird von Tag zu Tag schlimmer«, ergänzte ihr Begleiter, der versuchte, den störrischen Esel, der den Karren zog, zur Umkehr zu bewegen. »Anscheinend haben die Soldaten aus dem Châtelet ungefähr hundert von ihnen festgenommen.«
»Hundert!«
Verblüfft wiederholte Valentine die Zahl, ohne genau zu wissen, worauf sie sich bezog. Sie wusste so wenig von Paris, das ihr ganz anders als ihr gutes altes Tours zu sein schien.
»Ja, hundert«, wiederholte der Mann, der es schlieÃlich geschafft hatte, den Karren zu wenden. »Aber das ist im Grunde sinnlos, da ständig neue kommen.«
»Solange sie den Anführer nicht schnappen«, bestätigte seine Begleiterin, »rücken sie unaufhörlich aus ganz Frankreich nach.«
»Aber sicher. Diese Verbrecher sind übermächtig. Man hat eine Belohnung in Höhe von hundert Livres für die Ergreifung von König Guillot
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