Die goldene Königin
hochschwangeren Frau keinesfalls gleichmütig hinnehmen. Er würde augenblicklich das Haus der Familie verlassen, Amandine, das andere Maultier, nehmen und Valentine folgen. Genau wie sie würde Nicolas, der kaum jemals reiste, sich sagen, dass er mit einem Muli besser zurechtkam, da ein Pferd zu sehr auffiel.
Ohne den Horizont aus den Augen zu lassen, folgte Valentine der Loire in Richtung Orléans. Vor ihr ragten die nackten Ãste der Bäume in den weiÃen Winterhimmel, während aus dem hellen Grau des Flusses die Inseln mit ihrem feinen Sand aufragten.
Anders als ihre Schwester wusste Valentine zwar nicht, wie man ein Pferd ritt, dafür war sie äuÃerst erfahren im Führen eines Maultiers. Sie machte mit Fougasse, was sie wollte. Das Tier trottete munter in gleichmäÃigem Tempo voran. Valentine vertraute ihm voll und ganz und wusste, dass sie auf gerader, freier Strecke sogar auf seinem Rücken dösen konnte. Was sie im Ãbrigen tat, als die Nacht hereinbrach.
In den Satteltaschen, die gegen die Flanken des Mulis schlugen, befanden sich Brot, Schinken und Salami. Denn Valentine, die weder so erfahren noch so kühn wie ihre Schwester war, weigerte sich, in einem Gasthaus haltzumachen. Sie fürchtete sich vor gefährlichen Banditen, betrügerischen Wirten, ungehobelten Gästen und vor allem davor, was einem jungen Mädchen an einem solchen Ort widerfahren konnte. Man musste Mathilde sein, um ohne anständige Begleitung vor einen Gastwirt zu treten und Kost und Logis zu verlangen.
Valentine war bei anderen Gelegenheiten mutig, und sie hatte andere Ãngste als ihre Schwester. Es hatte sie groÃe Ãberwindung gekostet, das groÃe schützende Haus der Familie zu verlassen, vor allem, da ihre Mutter nach dem Verlust ihres Kindes in eine Depression verfallen war. Betrübt, verbittert und gereizt hatte sie auf den Rat von Mathias und ebenso von Properzia gehört, die meinten, sie solle in Tours bleiben und dort auf die Rückkehr ihrer Tochter warten.
Ihre Angst und ihre aufgewühlten Gefühle belasteten Alix stark. Obwohl ihr alle versicherten, dass Mathilde sicher zurückkäme, nachdem sie Brügge gesehen hatte, war sie verrückt vor Sorge. Unablässig grübelte sie, weshalb Mathilde erneut geflohen war. Was wollte das Mädchen denn noch über seinen Vater erfahren?
Aber Mathilde war auch â und das trug erheblich zu Alixâ Kummer bei â vergewaltigt worden, was sicher ein Schock für ihr noch junges Gefühlsleben gewesen war. Sobald Mathilde zurückgekehrt war, würde Alix diesen Schurken suchen und ihn für sein Verbrechen bezahlen lassen.
Während sie im gleichmäÃigen Rhythmus ihres Maultiers über die StraÃe schaukelte, quälte Valentine ihr Gewissen, weil sie ihrer Mutter noch zusätzlichen Kummer bereitete, sobald diese herausfand, dass Valentine sich, unerfahren und unbeholfen, wie sie war, auf eine so gefährliche Reise begeben hatte.
Aber was sollte sie anderes tun, wenn sie spürte, dass ihre Schwester in der fremden Stadt in Gefahr war? Valentine wusste, dass ihr Instinkt sie zu ihr führen würde, auch wenn niemand die seltsame Anziehungskraft zwischen den beiden verstand. Hatten sie nicht schon als Kinder so reagiert, als sie voneinander getrennt gewesen waren und noch nicht einmal von der Existenz der anderen wussten?
Ja, Valentine war voller Hoffnung und Zuversicht, dass sie Mathilde ohne Schwierigkeiten finden würde. Ihre kleine Börse war gut gefüllt, zweifellos besser als die ihrer Schwester. Sie konnte sich einige Zeit in Paris aufhalten, ohne Hungers zu sterben.
Zwei Tage später passierte Valentine Orléans, wo sie ihre Vorräte und ihre Feldflasche auffüllte, die leer war, da sie trotz des winterlichen Klimas reichlich trank. Valentine ahnte nicht im Geringsten, auf welches Risiko sie sich in ihrem hochschwangeren Zustand kurz vor der Niederkunft einlieÃ.
Der weite Umhang, in den sie sich von Kopf bis Fuà hüllte, hielt sie warm. Zum Glück komplizierten weder Kälte noch Eis und Schnee, weder Wind noch eisiger Regen ihre Reise. Dennoch verspürte sie in der Umgebung von Chartres Lust, eine Nacht in einer bequemen Scheune zu verbringen. Sie entdeckte einen stattlichen Bauernhof, in dessen Hof eine Frau in Holzpantinen und warmen Kleidern die Hühner fütterte.
Mit Fougasse am Zügel ging Valentine vorsichtig auf sie zu.
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