Die goldene Königin
getan?«, fragte Blanche bekümmert.
»Sie lassen sich nicht erniedrigen, sie setzen sich zur Wehr. Zwei hat man gestern im Morgengrauen gehängt. Sie riefen nach dem Antichrist.«
Briçonnet, der sie aus der Hütte gesehen hatte, kam vorsichtig heraus und ging auf seine Freunde zu. Er hatte sein Bischofsgewand gegen zivile Kleidung getauscht. Als er Marguerite erreichte, fasste er herzlich ihre Hände.
»Ich musste Euch sehen. Als Ihr das letzte Mal hergereist seid, konnte ich nicht mit Euch sprechen.«
Briçonnet schüttelte traurig den Kopf.
»Hört nur!«, murmelte er.
Marguerite lauschte und vernahm die Schreie der Gefolterten. Sie jammerten und ertrugen im Namen ihrer Religion, dass man ihre bereits blutverschmierten Körper auspeitschte.
»Gehen wir näher heran«, sagte Clément Marot. »Die Duchesse dâAlençon muss sich ein Bild machen, damit sie dem König davon berichten kann.«
Zwischen den pfeifenden Peitschenhieben und den Schreien der Gefolterten hörte man eine Art laute Litanei: »Nieder mit den Werken von Lefèvre dâEtaples!«
»Sie wollen ihn festnehmen. Ich habe ihn bei mir versteckt. Momentan ist er dort sicher. Aber in einigen Tagen wird man mein Haus durchsuchen. Ihn in der Kathedrale zu verstecken, ist ganz undenkbar. Ihr müsst ihm in Alençon Unterschlupf gewähren.«
»In Alençon?!«, wiederholte Marguerite. »Aber â¦Â«
»Es muss sein, Marguerite«, beharrte Briçonnet und fasste erneut die Hand der jungen Frau, die er losgelassen hatte, um sich die Stirn zu wischen. »Ob Ihr wollt oder nicht, ab jetzt seid Ihr in die Angelegenheit verwickelt.«
»Das werden wir auf keinen Fall akzeptieren«, schaltete sich Blanche mit angespannten, verzerrten, fast aggressiven Gesichtszügen ein. »Euer Kampf obliegt Euch allein. Ihr täuscht Euch.«
Betreten schwiegen Briçonnet und Marot und wagten nicht, etwas zu erwidern.
Marguerite trat neben Blanche und nahm ihre Hände. Sie schien einen Augenblick zu überlegen, mit welchen Worten sie die Freundin überzeugen konnte. Dann sah sie ihr in die Augen, führte eine Hand an ihre Lippen und küsste sie zärtlich. Sogleich verschwand jegliche Aggression aus Blanches Gesicht. Wie könnte sie ihrer Freundin den Wunsch abschlagen? Sie lächelte, dann seufzte sie.
»Holen wir ihn«, sagte sie.
Etwas später, als sie in groÃer Eile zum Tor von Meaux hinausritten, rief Marguerite ihrem Schutzbefohlenen zu:
»Wir verstecken Euch in Mauves, in einem alten Herrenhaus, das meiner Schwiegermutter gehört. Dort seid Ihr in Sicherheit. Niemand wird Euch dort finden.«
Kaum war Marguerite aus Meaux zurückgekehrt, erreichte sie ein weiterer Brief von Louise. Sie bat ihre Tochter, nach Blois zu kommen, um sich um Charlotte zu kümmern, die von Tag zu Tag schwächer wurde.
Wenn Marguerite das kleine Mädchen unter Françoisâ Kindern bevorzugte, dann, weil sie einiges gemein hatten. Charlotte war ein fröhliches, aufgewecktes Kind, das die Feste und Zerstreuungen bei Hofe liebte. Doch sie war auch aufmerksam, wissbegierig und nachdenklich. Wenn sie eine Frage stellte, wusste sie stets, ob die Antwort ihren Erwartungen entsprach.
Erneut traf Marguerite Vorbereitungen, umarmte ihre Schwiegermutter, die verstimmt war, da sie auf Marguerites Anwesenheit verzichten musste, und ihren Ehemann, den Eifersucht plagte, weil sie sich erneut in das prunkvolle Leben am Hof stürzte. Sie erteilte den Dienern einige Anweisungen, dann stieg sie in Begleitung ihres intimsten Gefolges in Gestalt von Blanche und Catherine in die Kutsche, um in höchster Eile in die Touraine zu reisen.
Als Charlotte erkrankte, hatte Louise Amboise verlassen und war in Blois geblieben, wo sie jede Nacht am Bett des Kindes wachte. Marguerites Herz begann heftig zu schlagen. Sie befiel eine dunkle Vorahnung.
»Ihr erscheint mir äuÃerst erschöpft, Mutter«, stellte sie fest, als sie Louises rot unterlaufene Augen bemerkte, in denen ein düsterer Ausdruck lag. »Macht Euch keine Sorgen mehr. Jetzt bin ich da und werde so lange bei Charlotte Wache halten, wie es nötig sein wird.«
Auf der breiten Treppe, die zu den Gemächern der Königin führte, stieà Marguerite auf zwei Söhne ihres Bruders â François und Henri.
Der ältere war offenherziger und beteiligte sich an allen kindlichen
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